Nordreich-Südreich. Der Vierte Evangelist als Vertreter christlicher Nordreichstheologie

(ursprünglich in: BZ NF 1992, 235-40) JOCHANAN, 360-368

 

Abstract

Der vierte Evangelist, ursprünglich wohl aus dem theologisch anders als das Südreich geprägten Nordreich herkommend, zeigt, wie man theologische Herkunft von der Begegnung mit Christus her hinter sich lassen kann und so zur Einheit der Christen beiträgt.

In einem Aufsatz mit dem Titel "Die Wallfahrt von Sichem nach Bethel"1 hat A. Alt die Jakobstraditionen dieser beiden Orte des Nordreichs untersucht. In diesem Aufsatz heißt es im Hinblick auf Sichem, dass "der Name Jakob im Zusammenhang mit anderen Überlieferungen seit alters in Sichem heimisch" 2 ist und dass "Sichem...die anscheinend älteste, von allen Stämmen Israels gemeinsam gepflegte Stätte der Verehrung Jahwes in Palästina" ist3.

Mir ist aufgefallen, dass im Johannesevangelium starke Jakobstraditionen - also von den Orten her Nordreichstraditionen - enthalten sind. Aber auch über diese Jakobs-traditionen hinaus weist das vierte Evangelium verschiedene Elemente einer Nordreichstheologie auf. Nachdem Südreichstheologie mit ihrem Schwerpunkt in der Davidsohn-Erwartung im Johannesevangelium nahezu vollständig fehlt4, komme ich zu dem Schluss, dass der vierte Evangelist Vertreter einer christlichen Nordreichstheologie ist - und die hat bis in unsere heutige Theologie hinein ihre große Bedeutung.

Ich meine, es lohnt sich, sich auf eine exegetische Wallfahrt mit Sichem und Bethel als Stationen zu begeben und zusätzlich andere Beobachtungen zu werten.

Bethel

Jesus knüpft in Joh 1,43ff an das wichtige Erlebnis eines Traumes Jakobs in Bethel an. Der Wahrheitssucher Nathanael prüft in diesem Gespräch den aus Nazaret stammenden Jesus kritisch, ob er der Messias ist. Er will nicht zum Lügner, zum Nachfolger Jakobs des Lügners, werden5. Am Ende des Gesprächs erkennt Nathanael, der in der Jakobs/Israels-Tradition steht, Jesus als den König Israels  an. Er erlebt also das Herabsteigen der Engel auf Jesus. Ihm werden dann, zusammen mit der christlichen Gemeinde, Jakobserlebnisse verheißen: Ihr werdet - wie Jakob - den Himmel offen sehen und die Engel Gottes hinauf- und herabfahren auf den Menschensohn6. Wie die in Ex 16 berichtete Speisung mit Himmelsbrot nach Johannes keine einmalige Angelegenheit nur für eine vergangene Generation aus Israels Wüstenzeit war, sondern sich im Hören auf das Wort Gottes jeder Generation als Möglichkeit darbietet (Joh 6,32), so ist auch die Schau des mit Gott verbundenen Menschensohnes keine einmalige Angelegenheit des Jakob, sondern Wirklichkeit für Nathanael und alle, die glauben. Ein wahrer Israelit ist einer, der Gott sieht7, und zum Sehen war Nathanael ja eingeladen worden. Am Ende seines inneren Ringens um Wahrheit folgt wie bei Jakob eine Namensnennung: »Der wahre Israelit" - Nachfolger des Israel ist der ehemalige Nathanael.

Der Evangelist, für den die Grenzüberschreitung Nordreich/  Südreich immer bewusst und bedeutsam ist8, schildert die Begegnung Jesu mit Nathanael während eines solchen Grenzüberganges: "Des andern Tages wollte Jesus wieder nach Galiläa ziehen...".

Sichem

In unmittelbarer Nachbarschaft von dem 128 v. Chr. zerstörten Sichem mit seinem Tempel werden das Sychar von Joh 4,5 und der Jakobsbrunnen lokalisiert9. Im Hinblick auf 2 Kön 9f schreibt Alt10: "Dann besaß das Reich Israel in dem offiziellen Jahweheiligtum in Samaria von nun an ein Gegenstück zu dem der Davididen in Jerusalem..."11. Wenn Jesus bei seiner Wanderung an diesem politisch und religiös so brisanten Ort angekommen ist, erwartet man sich von ihm Programmatisches. Was er dann sagt, knüpft an Jakobstraditionen und - verheißung an. Im Blickpunkt von Joh 4 stehen: eine Frau, Samaritaner12, Israeliten, Judäer, die ganze Welt. Jesus sagt, dass er der Grund der Jakobstradition ist - das lebendige Wasser des Jakobsbrunnens. Jesus ist auch die Erfüllung der Jakobsverheißung. Er ist das im Jakobsspruch an Juda verheißene Heil, das die Samaritaner "Taheb" und die Juden "Messias" nennen. Jakob hatte dieses Heil "Schilo"13 genannt - die Gestalt, auf die die Heidenvölker hoffen sollen. Der vierte Evangelist erkennt in Jesus als dem "Licht der Welt"14 den Erfüller der Verheißung aus Gen 49, wie auch der von Jesus mit Wasser des "Schiloach" (Joh 9,7) Geheilte in Jesus den "Schilo" erkennt und die in der Jakobsverheißung angesprochene Proskynese vollzieht15.

Wallfahrt von Bethel (Joh 1,51) nach Sichem/Sychar (Joh 4 und 9) heißt für den vierten Evangelisten und seine Gemeinde: Jesus als Erfüller von Nordreichstraditionen zu verstehen und ihn als den neuen "Ort" der Anbetung zu kennen. Dieser Ort ist weder mit dem zerstörten offiziellen Jahweheiligtum des Reiches Israel in Samaria noch mit dem im Jahre 70 zerstörten Gegenstück der Davididen im Jerusalem des Südreichs gegeben. Im "Geist und in der Wahrheit" ist für Johannes überall die Möglichkeit der in der Jakobsverheißung angesprochenen Anbetung.

 

Die bleibende theologische Grenze zwischen Nordreich und Südreich

 

Über das Spannungsverhältnis zwischen Nord- und Südreich schreibt S. Herrmann16: "Wenn mit dem alttestamentlichen Königtum die Idee des Messias pauschal verbunden wird, ergeben sich für Israel Schwierigkeiten, weil dort jeder Anhalt dafür fehlt; die Voraussetzungen zur messianischen Idee liegen hingegen einzig und allein in Jerusalem, wo das dynastische Königtum auch die Erneuerung oder Wiedergeburt eines Herrschers aus ein und demselben Stamm denkbar erscheinen ließ. Logisch und sachlich stehen deswegen die Königtümer von Israel und Juda in einem Spannungsverhältnis, das erklärbar wird, sobald man damit ernst macht, dass es die Königtümer zweier strukturell verschiedener Stammesverbände sind. In diesem Spannungsverhältnis liegt auch einer der Gründe für die immer wieder lebendig gewordene Kritik am Königtum, die von Israel ausging, aber in ihrer Erweiterung auf Juda die historischen Wurzeln missachtete und damit das historische Herrschertum der Davididen in unbillig schlechtes Licht rückte." Und Alt schreibt17: "Dass man auf dem Boden des zerstörten Reiches Israel für den Fall der Befreiung von der Herrschaft der Assyrer in einem Anschluss an das Reich der Davididen das Heil gesehen hätte, ist schwerlich anzunehmen; dem hätte die ganze Tradition des eigenen Reiches widersprochen."

Im Hinblick auf das Johannesevangelium und seine Heilserwartung möchte ich ähnlich formulieren: Dass im Bereich des ehemaligen Nordreiches lebende Israeliten und die Christen unter ihnen in einem Anschluss an einen Davidsohn, der in Bethlehem von einer Jungfrau geboren werden sollte, das Heil gesehen hätten, ist schwerlich anzunehmen; dem hätte die ganze Theologie des Nordreiches widersprochen18. Für die grundsätzliche Andersartigkeit christlicher Nordreichstheologie stehen zur Zeit des vierten Evangelisten immer noch die Worte aus 1 Kön 12,16: "Als aber ganz Israel sah, dass der König (sc. der Davidide Rehabeam) sie nicht hören wollte, gab das Volk dem König Antwort und sprach: Was haben wir für Teil an David oder Erbe am Sohn Isais?" Und 1 Kön 12,19 heißt es: "Also fiel Israel ab vom Hause David bis auf diesen Tag." In 2 Sam 20,1f wird der Ort genannt, an dem diese Worte ausgesprochen worden sind: Sichem!19

Nordreich und Südreich - zwei Reiche - zwei Theologien - zwei Christologien! Sicher gab es Mischformen, aber bei Johannes finden wir eine fast lupenreine Nordreichstheologie, die sich in Joh 1,43ff, 7,40ff und 12,3420 ganz klar von der Südreichs-Erwartung abgrenzt. Eine solche Nordreichstheologie und -christologie wie die johanneische war bestimmt für viele Nordreich-Juden und -Samaritaner der einzig mögliche Weg, sie zum Glauben an Jesus als das Heil zu führen - der einzig mögliche Weg, der dann in der Zeit des Niedergangs der Davids-Erwartung nach dem Jahre 70 sicher viele Sympathisanten fand.

Weitere Nordreichstheologie im Johannesevangelium

Der Prophet wie Mose

Die von Alt aufgewiesene Herkunft des Deuteronomiums aus dem Nordreich bedeutet wohl auch, dass dort die Erwartung eines Propheten wie Mose besonders gepflegt worden ist21. Macdonald hat das für die Samaritaner nachgewiesen22. Vertreter der Südreichstheologie verwerfen Joh 7,52 die Herkunft dieses Propheten aus dem Nordreich, während Samaritaner (Joh 4,19) und Menschen am See Gennesaret im Anschluss an die wunderbare Speisung in Jesus "den Propheten" sehen und ihn zum König machen wollen. Nordreichstheologie scheint ihre Erwartungen an den Propheten geknüpft zu haben, der einen neuen Exodus herbeiführt. So lautet die Forderung der vielen Galiläer in Joh 6 nicht, dass Jesus das "verheißene Reich unseres Vaters David" aufrichtet, sondern dass er Zeichen tut, also die Wunder der Wüstenzeit vollbringt. Im Johannesevangelium spielen die Exodus-Zeichen Mannaspeisung, Wasser aus dem Felsen, voranziehendes Licht eine große Rolle, das Freiwerden von der Sklaverei und das vom Geist in alle Wahrheit Geführtwerden, der Weg und das Jetzt der Entscheidung.

Eine ähnliche Anknüpfung an den Exodus wie im Johannesevangelium findet man im Hebräerbrief, der auch sonst manche Ähnlichkeiten mit dem vierten Evangelium aufweist23. Ich halte es für wahrscheinlich, dass das aus Ps 95,7b entnommene und im Hinblick auf die Begegnung mit Gott beim Exodus formulierte "Heute" des Hebräerbriefes seine Entsprechung in dem "Nun" des Johannesevangeliums hat und dass in Hebräerbrief und Johannesevangelium das (seine Stimme) "Hören" im Anschluss an Ps 95 benutzt wird: Die mit Jesus gleichzeitige Generation ist zur Entscheidung aufgefordert. Sie hat kein Recht, sich auf "unsere Väter" (Joh 6,31; vgl. Ps 95,9) zu berufen. Diese Entscheidung kann getroffen werden, weil die gegenwärtige Generation von Jesus mit Manna und Wasser gespeist und getränkt wird und Gottes Werk sieht (Joh 6,30: vgl. Ps 95,9) und seine Stimme hören kann (Joh 10,3, vgl. Ps 95,7)24. Meiner Meinung nach liegen im Johannesevangelium und im Hebräerbrief Predigtmuster des Nordreichs vor, in denen unter Benutzung von Dtn 18,15ff und Ps 95 an die Exodus-Tradition und die Exodus-Erwartung des Nordreichs angeknüpft wird25.

Elia

Neben den Jakobstraditionen des Nordreiches und neben der Verknüpfung messianischer Hoffnungen mit einem neuen Exodus vornehmlich im Nordreich deuten die verschiedenen Anspielungen auf den Nordreich-Propheten Elia im Johannesevangelium26 darauf hin, dass der vierte Evangelist in seinen christologischen Aussagen von Nordreichstheologie und -tradition geprägt ist und Südreichserwartungen nicht aufnimmt.

Grenzüberschreitende joh Theologie

Von einer bloßen Anknüpfung des vierten Evangelisten an Nordreichserwartungen und -traditionen kann jedoch keine Rede sein. Grundsätzlich gilt für den Evangelisten, dass man weder die Latte der Südreichs- noch der Nordreichs-erwartungen an Jesus anlegen darf, ob er der sei, der da kommen soll. Nicht Jesus ist der zu Befragende, sondern immer sind es die Menschen, die sich befragen lassen müssen, ob sie den von Gott Gesandten annehmen oder nicht, auf ihn hören oder nicht, ob sie kommen und sehen oder nicht, in der Finsternis und im Tode bleiben oder ins Leben hinüber-schreiten. Jesus vertritt auch nicht Nordreichs-Tempelideologie gegen die aus dem Südreich, sondern entgrenzt die Anbetung27.

Wenn auch der vierte Evangelist stark von seiner theologischen Herkunft aus dem Nordreich bestimmt ist28 und wie seine Vorfahren "keinen Teil an David noch Erbe am Sohn Isais" hat, entwickelt er doch eine grenzüberschreitende Theologie, der sich Juden aus dem Nordreich, dem Südreich, Samaritaner und Griechen anschließen können. Johannes stellt Jesus als einen König ganz anderer Art vor, zu dem alle - auch Pilatus - Zugang finden können. Jesus ist nach Joh 4,42 Heiland der Welt. Erste Vertreter aus dem theologischen Südreich-Lager, die ihre dogmatischen Latten weglegen, scheinen Nathanael und Nikodemus zu sein29.

Nachdem bis heute die Nachkommen der Nordreichs- und Südreichs-Theologen ihre großen Schwierigkeiten miteinander haben30 - bei der Diskussion um Davidsohnschaft, Jung-frauengeburt und die Orte und Konfessionen rechter Anbetung wird das sehr deutlich - hat der vierte Evangelist auch im Hinblick auf diese Probleme seine große Bedeutung: damit einmal eine Herde und ein Hirte werde - und sich nicht zwei theologische Lager entweder Glauben oder Verstehen absprechen. Der vierte Evangelist zeigt, wie man theologische Herkunft von der Begegnung mit Christus her hinter sich lassen kann31.

1 A. Alt, Kleine Schriften zur Geschichte des Volkes Israel. Bd. I-III, München 1953, hier I,79ff.

2 Ebd. 83

3 Ebd. 85

4 Vgl. zur Gesamtproblematik E. Lohmeyer, Galiläa und Jerusalem (FRLANT 52), Göttingen 1936; W.A. Meeks, Galilee and Judea in the Fourth Gospel, in: JBL 85 (1966) 159-169; M. Lowe, Who were the (griech.) Ioudaioi ? in: NT 18 (1976) 101-130; H.  Thyen, Das Heil kommt von den Juden, in: kirche (FS G. Bornkamm), Tübingen 1980, 163-184; Ashton, The Identity and Funktion of the Ioudaioi in the Fourth Gospel, in: NT 27 (1985) 40-75;  W. A.Meeks, The Prophet-King. Moses Traditions in the Johannine Christology (NTS 14), Leiden 1967.

5 Mit der Bemerkung, dass in Nathanael "kein Falsch" ist, spielt Jesus auf den Betrug Jakobs - vgl. Gen 27,36; 32,28; Hos 12,4 - an. Nathanael betrügt nicht, wie sein Ahnherr, indem er wider besseres Wissen den Jesus aus "Nazaret" als Messias anerkennen würde. Als Jakobsnachkomme weiß er, dass sein Urahn den Messias aus Juda (Gen 49,8-12) angekündigt hat. Jesus kommt zwar gerade aus Juda, wo er vom Täufer als Messias aufgewiesen worden ist - aber beim Menschensohn (1,51) erübrigt sich die Frage nach einer örtlichen Herkunft.

6 Dazu, dass Jakob von Christus in Bethel träumte, vgl. Justin, Dial 58,10.

7 Vgl. Philo, Praem 43-45, wo Israel gedeutet wird als der, der Gott schaut.

8 Vgl. Joh 2,11 auf dem Hintergrund von Jes 8,23; 9,1; Joh 3,22; 4,3; 7,3; 11,4; 4,47; 11,7.

9 R. Schnackenburg, Das Johannesevangelium. Bd. I (HThK IV/1), Freiburg, 4. Aufl. 1979. 458-460.

10 A. Alt, Schriften III, 295.

11 Als nach dem Untergang der Tempel sowohl in Samarien/Nordreich als auch in Jerusalem/Südreich der Jerusalemer Tempel um 520 wieder aufgebaut werden sollte, wurde nach einem Spruch Haggais (2,10-14) die alteingesessene Bevölkerung in Juda und Samaria ausgeschlossen - Grund genug, um auf Wiedererrichtung des Sichemer Heiligtums zu sinnen. 

12 Vgl. zur Nordreich/Südreichproblematik G. Fohrer, Geschichte Israels (UTB 708), Heidelberg 1977, 221f: "Der wahre Grund für die Lostrennung der Samaritaner von Jerusalem war der alte Gegensatz zwischen Nord und Süd, der schon zur Entstehung der beiden Staaten Juda und Israel geführt hatte. Er wiederholte sich in der hellenistischen Zeit auf geistig-religiöser und organisatorischer Ebene. Mit dem Gegensatz gegen Jerusalem verband sich für die Samaritaner derjenige gegen die davidische Dynastie. Deswegen verwarfen sie auch die religiösen Schriften außerhalb des Pentateuchs. Denn in ihnen stießen sie auf Texte, in denen Jerusalem und die davidische Dynastie verherrlicht oder ein Messias aus dem Hause Davids angekündigt wurde."

13 Gen 49,8-12; vgl. Joh 4,22. S. Herrmann, Autonome Entwicklungen in Israel und Juda, in: Ders., Gesammelte Studien zur Geschichte und Theologie des Alten Testaments (ThB 75), München 1986, 147: "Die tieferen Gründe für dieses streng dynastische Bewusstsein Judas sind bis heute ungeklärt, sie lassen sich nur vermuten. Aus dem Juda-Spruch des Jakobsegens spricht eine ebenso selbstherrliche wie eigenwillige Haltung, die den Stamm bereits in seiner vorstaatlichen Zeit auszeichnete." Johannes nimmt den Jakobspruch bewusst auf, löst aber das Problem der Herkunft des Messias nicht von der Herkunft Jesu aus der davidischen Dynastie, sondern von der Herkunft des Sohnes/Menschensohnes vom Vater.

14 Joh 8,12; 9,5; vgl dazu G. Reim, Johannesevangelium und Synagogengottesdienst - eine Beobachtung, in: BZ NF 27 (1983) 101, und Ders., Joh 9 - Tradition und zeitgenössische messianische Diskussion, in: BZ NF 22 (1978) 245-253.

15 Vgl J. Blank, Das Evangelium nach Johannes (Geistliche Schriftlesung 4/1b), Düsseldorf 1981, 207, zu Joh 9,38: "Er vollzieht die proskynesis, und das bedeutet, dass er in Jesus den Ort der Gegenwart Gottes anerkennt. Damit ist die Geschichte an ihr Ziel gelangt."

16 S. Herrmann, Geschichte Israels in alttestamentlicher Zeit, München 1980, 242.

17 A. Alt. Schriften (s. Anm.1 S.360) II,274.

18 Vgl. J. Blank, Joh (s. Anm.4 S.362) 301f;""...lautet...der Huldigungsruf bei Joh: "Gepriesen sei, der da kommt im Namen des Herrn!" und "Der König von Israel!" Entspricht das erste Glied der markinischen Version, so ist das zweite Glied "Der König von Israel" wohl Ausdruck des johanneischen Messiasverständnisses. Sollte Johannes die Wendung "gepriesen sei das kommende Reich unseres Vaters David" (Mk 11,9c) gekannt haben, dann hat er sie absichtlich gestrichen. Denn die "Davidsohnschaft" ist für das johanneische Verständnis der Messianität Jesu völlig belanglos und eher ein Missverständnis Jesu (vgl.. 7,41f). Dagegen ist die Bezeichnung "König Israels" ein für Joh angemessener Messiastitel (vgl. 1,49)... R. Schnackenburg, Joh (s. Anm.4 S.361) II,496: "Bei Joh stehen sich noch schärfer die jüdische Erwartung des davidischen Messiaskönigs und die christliche Menschensohn-Theologie gegenüber." 

19 Die Zerstörung des samaritanischen Tempels durch Johannes Hyrkan (135-105 V. Chr.) hat dann kurz vor ntl Zeit den alten Hass verstärkt. Vgl. G. Fohrer, Geschichte (s. Anm 1, 362) 226.  

20 Zur Verbindung der Davidsverheißung mit dem Jakobspruch an Juda im NT vgl. z.B. Offb 5,5; Röm 15,12; Lk 1,32f: So sieht Südreichserwartung aus.

21 S. W.A. Meeks, Prophet-King (s. Anm.4 S.360).

22 J. MacdonaldThe Theology of the Samaritans, London 1964.

23 Im Hebr werden viele, besonders von Joh betonte Themen angesprochen - auszugsweise nenne ich die Stichworte Weltschöpfung durch den Sohn, Glaube und Leben, Erlösung der Abrahamskinder von der Knechtschaft des Teufels, das Reden vom Sohn, der Vergleich Mose/Christus, die Lehre der Menschen direkt durch Gott, die Herkunft Jesu aus Juda, die hohepriesterliche Funktion Jesu, die Auslegung von Ps 45. Hebr und Joh schildern Jesus beide nicht als Davidsohn.

24 Nikodemus, Vertreter von Südreichstheologie, lernt das Kommen des Gottesreiches nicht mehr mit dem eschatologischen Davidnachfolger zu verbinden, sondern mit dem, der durch Wunderzeichen von Gott legitimiert ist.

25 Nordreichstheologie steht vielleicht auch hinter der Diskussion von Ps 110 in Mk 12,35ff.

26 Vgl. G. Reim,  Studien zum alttestamentlichen Hintergrund des Johannesevangeliums (MSSNTS 22), Cambridge 1974, 156-158.

27 Vgl. Apg 7.

28 Der Vorwurf Joh 8,48, dass Jesus samaritanische Ketzerei verbreitet, ist sicher dem Evangelisten gemacht worden.

29 J. Blank, Joh (s. Anm 4 S.362) 135: "Der Name ‚Israel’ hat im Unterschied zu der Bezeichnung ‚die Juden’ im Johannesevangelium einen positiven Klang. Jesus ist ‚der König Israels’ (1,49; 12,13), und das ist positiv gemeint; ebenso wenn Jesus zu Nikodemus sagt; ‚Du bist ein Lehrer in Israel...’. So entsteht der Eindruck, dass mit ‚Israel’ das glaubenswillige, für Jesus offene Judentum gemeint ist, wogegen mit den ‚Juden’ das Judentum gemeint ist, das Verkündigung und Anspruch Jesu ablehnt."

30 Ich verstehe unter dem Begriff ‚die Juden’ im Johannesevangelium u.a. Menschen, die die Latte judäischer Dogmatik an Jesus anlegen und deswegen Jesus verwerfen, ohne zu kommen und zu sehen. Erst wenn Juden ihre Verwerfung durch Steinigung Jesu (und seiner Nachfolger) ausdrücken (Joh 8), werden sie zu Kindern Kains, der nach einer jüdischen/samaritanischen Auslegung aus der Verbindung der Schlange/des Teufels mit Eva stammte.

31Eine erstaunliche neue Entwicklung deutet sich bei J. Blank, Joh (s. Anm 4 S 362) 1a, 158f an, der Bethlehemsabkunft, Davidsohnschaft und Jungfrauengeburt und die "ältere Tradition" aus Mk und Joh nebeneinander stellen kann, so 369: "Die Abstammung Jesu von irdischen Eltern scheint also in der johanneischen Christologie mit der besonderen Gottessohnschaft Jesu durchaus vereinbar zu sein."

Ich sehe im Johannesevangelium den Versuch einer umfassenden Integration der verschiedenen Glaubensweisen jüdischer und christlicher Gruppen von der Basis christlicher/johanneischer Weisheitstheologie her mit dem Ziel der einen Herde unter dem einen Hirten: Der Südreichstheologie bietet Joh einen Zugang über seine das irdische Königtum überbietende Königstheologie in Joh 18,37 (vgl. Ps 45). Samaritanern stellt er einen Jesus aus Juda (Gen 49) vor, der keine befürchtete Davidsmacht darstellt, sondern Züge des samaritanischen Taheb trägt und des "Propheten wie Mose". Das Anliegen von Christen, die in Jesus den Wundertäter verehren, nimmt Joh auf, indem er deren Wunderevangelium übernimmt und vertieft. Von "Synoptikern" herkommendes Christentum wird vom vierten Evangelisten in Form eines überkommenen "Vierten Synoptikers", den Joh kommentiert, aufgenommen. Schließlich finden Griechen - symbolhaft für die gesamte nichtjüdische Welt - zu Jesus Zugang wohl hauptsächlich auf Grund ureigenster johanneischer Theologie mit ihrer großen Nähe zur Weisheit und zu Philo. Von diesem großartigen Versuch von Integration verschiedener Glaubensweisen her könnte hinter dem Titel (S. 108) dieses Aufsatzes auch ein Fragezeichen stehen im Sinne: mehr als christliche Nordreichstheologie!