Erschrecken über das Weggehen Jesu
Die Worte des Predigttextes folgen unmittelbar nach dem Beginn des Verrats durch Judas und nach der Ankündigung der Verleugnung durch Petrus. Man spürt in 14,1 das große Erschrecken der Jünger über das angekündigte Weggehen Jesu, über Verrat und Verleugnung durch Jünger.
Die Möglichkeit, mit der neuen Situation zurechtzukommen
Es ist eine Situation entstanden, die nur durch Gottes Beistand und den Glauben an Jesus trotz des Kommenden bewältigt werden kann. Das besagt die Aufforderung: „Glaubet an Gott und glaubet an mich.“ Diese Worte sind den Jüngern bekannt als Worte direkt nach dem Auszug aus Ägypten und dem Durchzug durchs Rote Meer, wo es (Ex 14,31) heißt: „Und das Volk fürchtete den Herrn, und sie glaubten an Gott und an seinen Knecht Mose.“
Nachtrag Juli 2015:
Martin Buber hat in seinen "Erzählungen der Chassidim" S. 515 eine interessante Stimme zum Verständnis von Ex 14,31 unter der Überschrift 'Vom Sabbat des Liedes' wiedergegeben:
Am <Sabbat des Lieds>, an dem das Lied am Schilfmeer verlesen wird, sprach der Rabbi von Sadagora: <Es steht nicht geschrieben, sie hätten das Lied sogleich nach der Überschreitung des Schilfmeers gesungen, sondern zuerst gelangten sie zur Stufe des vollkommenen Vertrauens, wie geschrieben steht: ,Und sie vertrauten dem Herrn und Mose, seinem Knecht.` Dann erst heißt es: ,Damals sang Mose und die Kinder Israels.` Erst wer vertraut, kann sas Lied singen.
Beim Evangelisten Johannes lädt Jesus in Joh 14,1 unter Rückbezug auf Ex 14,31 zum , vollkommenen Vertrauen` in Gott, seinen Vater und sich und zur Furchtlosigkeit auf dem Weg in die Freiheit und den Wohnungen beim Vater ein.
Die Worte Jesu in Joh 14,1 müssen unbedingt auf dem Hintergrund von Ex 14 gesehen und verstanden werden. Dort folgten der Ermutigung der Fliehenden („Da sprach Mose zum Volk: ´Fürchtet euch nicht, stehet fest und sehet zu, was für ein Heil der Herr heute an euch tun wird`- Ex 14,13) der Durchzug durch das Schilfmeer – Zentralerfahrung der Israeliten aller Zeiten. Als Zusammenfassung alles rettenden Geschehens zeigt Ex 14,31 die Einheit Gottes mit Mose, denen das Volk den Glauben schenkt und das sich so zu einer vollkommenen Einheit einfügt.
Dass diese Vollkommenheit ein einmaliges Geschehen von nur kurzer Dauer ist, zeigt der Fortgang der Auszugsgeschichte mit dem fatalen Bruch durch 'streiten' und 'murren' in Ex 15,22 und dessen theologische Verarbeitung in Ps 95.
Der Situation der Flüchtenden am Schilfmeer ist jener der flüchtenden Jüngergemeinde ähnlich: Auch sie wird vor dem Furchtbaren, das Jesus und ihr widerfahren wird, zur Zuversicht gerufen. Auch sie soll zum Glauben an Gott und zum Glauben an seinen Gesandten Jesus kommen. Ihr Schilfmeerereignis steht ihr bevor, doch die Not kann und wird bewältigt werden. Aus dieser Zuversicht heraus kann die Jüngergemeinde zum Aufbruch aufgefordert werden: „steht auf und lasst uns von hinnen gehen.“ - Joh 14,31
So wird gemäß dem Johannesevangelium das zentrale Ereignis der Geschichte Israels zur Ausgangsstation auch der Jesusgemeinde, die durch Gott in Jesus fortgeführt werden und zum Ziel geführt werden soll. Das Reden vom Antijudaismus des Johannesevangeliums, weil der Jude Jesus seine jüdischen Jünger zum Glauben an Gott und zum Glauben an sich auffordert, wird ad absurdum geführt, weil ja diejenigen, die das Wunder am Schilfmeer erlebt haben, genauso geglaubt haben: An Gott und an Mose – ohne damit vom Glauben an den EINEN abgefallen zu sein.
Auch die Vorwürfe aus dem Islam, die Christen würden dem EINEN einen zweiten Gott beigesellen, werden im Hinblick auf Ex 14,31/Joh 14,1 nichtig.
Dieselbe Parallele zu Ex 14,31/Joh 14,1 findet sich ja doch auch im Islam, wo der Glaubende Gott und den ´Gesandten` Mohammed in einem Atemzuge nennt – ohne dass Juden oder Christen den Monotheismus des Islam infrage stellen.
Der von Johannes dargestellte Jesus will Geschichte Israels weiterführen als Geschichte der Glaubenden in der ganzen Welt (Joh 17).
Joh 14,1 mit seinem Kontext ist also nicht nur interessante Parallele zu Ex 14,31, sondern Zentralstelle für die Gegenwarts- und Zukunftsbewältigung derer, die Jesus nachfolgen und das Leben suchen. Das Werk des Auszuges aus aller Sklaverei und hinein in die sicheren Lebensmöglichkeiten durch Gott in Jesus ist die große Vision des Johannesevangeliums.
„Also hat Gott die Welt geliebt, auf dass alle, alle, alle, alle, die an IHN glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben (Joh 3,16/Johann Sebastian Bach)
Klaus Wengst zu Joh 14,1
Bei deutschen Kommentatoren fällt der ausführliche Bezug von Joh 14,1 auf Ex 14,31 durch K. Wengst auf (ThKNT II,117). Ich zitiere auszugsweise: „Diese Erfahrung Israels vom rettenden Glauben steht hinter der doppelten Aufforderung von V.1b. Sie hat sich im Blick auf Jesus in dem Bekenntnis verdichtet, dass Gott ihn von den Toten auferweckt hat. ... (Johannes) bezeugt so den Gott Israels als im Kreuzestod Jesu in tiefste Erniedrigung mitgehenden und sie überwindenden Gott. An ihm macht sich der Glaube fest; auf ihn wird das Vertrauen gesetzt; Nur deshalb ist die Aufforderung, sich nicht erschrecken zu lassen, angesichts der bedrängenden Erfahrungen kein leeres Wort, sondern hat Grund.“
Schon einmal: Eine scheinbar aussichtslose Situation
Es gab also in der Geschichte Israels schon einmal eine scheinbar aussichtslose Situation mit den Ägyptern direkt hinter sich. Kein Weg in eine Zukunft war noch denkbar.
Der Weg durch das Rote Meer – und Jesus als Weg
Die Jünger hatten die Lesung mit Ex 14,31 jedes Jahr in der Synagoge gehört, beginnend mit Ex 13,17 mit Gottes Gedanken über den Weg des Volkes aus Ägypten. Nun spricht ihnen Jesus von ihrem Weg. An Anklängen an den Auszug aus Ägypten hatte es in den vorhergehenden Kapiteln des Johannesevangeliums nicht gefehlt (vgl. z.B. „Brot vom Himmel, murren, streiten s. Joh 6 und das Sklavendasein und die Möglichkeit der Freiheit, s. Joh 8). Nun geht es für die Jünger selbst um die größte Herausforderung auf ihrem Weg, den sie nicht mehr erkennen können.
In der Freiheit, in den Wohnungen des Vaters ankommen
Jesus sagt ihnen, dass sie in der Freiheit, in den Wohnungen des Vaters ankommen werden (14,2) und dass Jesus den Weg vorangehen wird, ja, selbst der Weg ist, der zum Vater führt. „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater, denn durch mich.“
Joh 14,6: Extreme Formulierung am Tiefpunkt von Beziehungen und in der Ausweglosigkeit des Jünger-Daseins
Das ist am Tiefpunkt der Beziehungen zwischen einer verfolgenden Gruppe von Juden und aussichtslosen Nachfolgern Jesu formuliert worden in Verantwortung für die Wahrheit in Christus. Es ist jedoch nicht am Endpunkt formuliert, wie wir sehen. Wenn Christus der Weg ist, dürfen wir uns darauf verlassen, dass es auch nach dem Tiefpunkt durch Christus für uns den Weg gibt, den nicht wir für alle Zukunft definieren, sondern den Gott in Christus mit allen Menschen gehen will und auf den wir sehend und hörend gespannt sein dürfen.
Neue Ansätze zum Gespräch zwischen Christen und Juden
Am Anfang des 20. Jhd. hat es neue Ansätze zum Gespräch zwischen Christen und Juden gegeben – in der Hitlerzeit wieder verschüttet, aber gerade dadurch neu gefordert und nach 1945 zögernd neu begangen. Der Tiefpunkt der Beziehungen war mit dem Töten Jesu erreicht und wurde für die johanneische Gemeinde mit dem Ausschluss aus der Synagoge und dem Töten von Christen erreicht. Das hat die exklusive Aussage in 14,6 provoziert, weil die Synagoge als Ort der Verfluchung nicht mehr Ort der Gottesbegegnung sein konnte und weil Christen, die sich überlegten, den Weg mit Jesus zu verlassen, auf ihre drohende Weglosigkeit ohne Christus hingewiesen werden sollten. Petrus: "Herr, wohin sollen wir gehen? Du..."
Wegbeschreibung durch Jesus – nicht durch uns
In einer neuen Situation dürfen wir Joh 14,6 nicht mehr einfach konstatierend und ausgrenzend wiederholen. Wenn Jesus der Weg ist, ist die Wegbeschreibung seine und nicht unsere Sache. Und in neuen Situationen unseres eigenen Lebens müssen wir selbst uns an unseren einzig sinnvollen Weg erinnern lassen. Abfall ist unsere Möglichkeit.
Die Wohnungen des Vaters:
Die größte Bedeutung hat die Rede von einer Wohnung für den Flüchtling. Er sucht eine neue Gemeinschaft und sucht neue Jesusgemeinschaft. Joh 14,1-6 besagt, dass es jemanden gibt, der sich für die Zukunft der Verfolgten einsetzt, Wohnung bereitet und in die Wohnung einholt. Jesus sieht den Weg der Gemeinde in Analogie zu seinem eigenen Weg. Der wird nicht mit der Kreuzigung zuende sein, sondern Jesus überschreitet die wesentliche Grenze. Dafür benutzt das Johannesevangelium wiederholt den Begriff ‚hinüberschreiten’ (griech. ‚hypagein’).
Hinüberschreiten
Statt der Mauer der Furcht – wie sie auch das Rote Meer darstellte – gibt es für die Nachfolger Jesu, für die an Gott Glaubenden, den Weg. Thomas weiß das noch nicht[GR1] . Wir können uns in unserer Zeit weitgehend in diesem Jünger wiederfinden. Er repräsentiert die Nichtverstehenden: „Wir wissen nicht“, 14.5. Aber die Gemeinde wird den Weg aus der Unfreiheit zu Gott, die sich durchsetzende Wahrheit angesichts des Vorwurfs der Verführung durch Jesus und das Leben, das nicht genommen werden kann, wie Thomas erfahren.
[GR1]vgl die Thomaskantate auf der homepage als Möglichkeit für eine Thomas-Predigt.