Joh 2,13-22 (und Predigt)

 

Passa: Größtmögliche Öffentlichkeit!

Jesus tritt das erste Mal im Evangelium in einer großen Öffentlichkeit auf. In der Auseinandersetzung mit Gegnern ist es dem Evangelisten äußerst wichtig, dass Jesus in der größtmöglichen Öffentlichkeit aufgetreten ist:

  • Bei jüdischen Festen im Tempel,
  • in der Synagoge,
  • inmitten einer Masse in Galiläa,
  • vor dem Vertreter des römischen Kaisers.

Eine verfolgte christliche Gemeinde um das Jahr 90 wird sich dann nicht für immer mit einem Leben in der Verborgenheit der Verfolgung zufrieden geben dürfen, sondern die Weite des Kosmos mit ihrer Verkündigung anstreben.

Der neue Inhalt des Passafestes

Jesus geht vom Passa in Joh 2 über das Passa in Joh 6 zum Passa am Ende, Joh 18f. Das jüdische Passafest bekommt also sukzessive durch Jesus und für die Menschen einen neuen Inhalt. Wenn der alte Tempel abgerissen sein wird durch Krieg und Schuld von Menschen, steht schon seit der Kreuzigung Jesu ein neuer Tempel bereit. Jesus spricht im Anschluss an LXX Ps 39  (zum LXX-Zitat vgl Hebr 10,5: „Darum spricht er bei seinem Kommen in den Kosmos: ‚Opfer und Gaben hast du nicht gewollt, einen Leib – griech. soma -aber hast du mir bereitet’“.) in Joh 2,21 von seinem „Leib“ als dem Tempel. Er erklärt sich mit seiner ganzen Persönlichkeit bis zur Hingabe des Leibes auf Grund höchsteigener Entscheidung (Joh 10,10f) bereit, als Gesandter Gottes für das Leben der Menschen einzutreten.

Tempelreinigung: nicht nur prophetischer Reinigungsakt, sondern Hinweis auf die Grablegung des Königs der Wahrheit

Der Predigtabschnitt wird missverstanden, wenn man ihn nur als prophetischen Reinigungsakt für einen von Menschen missbrauchten Tempel versteht. Der Evangelist, für den der Jerusalemer Tempel schon etwa 20 Jahre bei der Niederschrift seines Evangeliums nicht mehr besteht, versteht am Ende des Evangeliums in 19,38-42 die Grablegung des Leibes Jesu als Begräbnis des Königs der Wahrheit und zeigt doch im ganzen Evangelium, dass Jesus nicht ins Nichts hinein stirbt, sondern dass er hinübergeht zum Vater und dass damit anstelle des Tempels die neue Möglichkeit der Anbetung Gottes im Geist und in der Wahrheit für die Menschen gegeben wird: „Löst diesen Tempel auf, und in drei Tagen will ich ihn aufrichten.“

Jesu Leib als Tempel, das heißt: Entideologisierung des Tempelberges

Die aktuellen Auseinandersetzungen um Tempelberg und Grabeskirche bekommen für Christen durch den Predigtabschnitt ein neues Licht. Christen können mit einer eventuellen Wiedererrichtung des jüdischen Tempels auf dem Tempelberg und dem damit verbundenen Opferkult keine Hoffnung verbinden, seitdem der Leib Jesu der Tempel ist (vgl zum Ganzen auch Hebr 10,1ff).

 (Wer sich über diesen Text in johanneischer Sicht informieren möchte, findet auf der homepage den Artikel: „Vom Hebräerbrief zum Johannesevangelium“)

 

PREDIGT am 10. Sonntag nach Trinitatis 1987 in der Thomaskirche in Erlangen
 

Liebe Gemeinde,

seit über 1900 Jahren denken Juden und Christen in dieser Zeit um den 10. Sonntag nach Trinitatis an jenes Weltereignis, als der Tempel von Jerusalem nach römischer Belagerung eingenommen und dann zerstört wurde. Es hat in der Geschichte der Menschheit kein vergleichbares Gebäude gegeben, das den Anspruch für sich hatte: Bethaus für alle Völker der Welt zu sein, bzw. zu werden.

An diesem 10. Sonntag nach Trinitatis wird in der Kirche das Evangelium verlesen, das traditionell die Überschrift trägt: Die Tempelreinigung Jesu.

Viele Christen werden diese Geschichte jeweils mit Befriedigung gehört haben, weil es für viele Menschen eine angenehme Sache ist, davon zu hören, dass ein anderer eine draufgekriegt hat, der - wie man sagt - es verdient.

Die Geschichte wird von manchen gern gehört und zitiert. Ich denke an Prüfungsverfahren für Kriegsdienstverweigerer, die prüfen sollten, ob junge Männer zu recht Jesus als ihr Vorbild für ihre Ablehnung allen Waffengebrauchs anführen dürfen. Ich habe Prüfer gehört, die die Geschichte von der Tempelreinigung als Beweis für Gewaltgebrauch Jesu gegen Menschen angeführt haben.

Die Geschichte von der Tempelreinigung wird gern gehört und zitiert. In einer Tonbandaufzeichnung einer lateinamerikanischen Bibelstunde sagt ein Mann mit Namen Felipe: "Jesus predigte vor allem durch sein Beispiel. Er warf die Händler und die Bankiers aus dem Tempel, um ihnen zu zeigen, dass mit der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen Schluss gemacht werden musste. Und wenn es mit der Peitsche war!" Einer fragt: "Mit der Peitsche wohl, aber mit Maschinengewehren nicht?" Darauf sagt ein anderer: "Je nach der Gelegenheit, denn die Ausbeutung, die der Kapitalismus mit uns treibt, ist eine schlimmere Entweihung als diese Entweihung des Tempels." Dann sagt der Priester Ernesto Cardenal: "Den Anhängern der absoluten Gewaltlosigkeit fällt es schwer, sich diesen Text zu erklären."

Aktionen an heiligen Stätten der Welt waren und sind höchst brisant. Gerade haben wir von Aktionen iranischer Mekkapilger gehört und von der Überführung von etwa 200 dort Getöteter in ihre Heimat.

Was Jesus damals im Tempelbereich tat, war eine höchst gefährliche und gefahrvolle Aktion, aber: Berührt der Sturm, der da damals durch Jesus entfacht worden ist, auch die Kirche heute - berührt er auch mich selber? Oder kann ich unbeteiligter Beobachter eines vergangenen Ereignisses bleiben, der aus Tradition am 10. Sonntag nach Trinitatis sich die Geschichte von der Tempelreinigung ganz gern anhört? Ich lese den Bericht, wie ihn Johannes aufgeschrieben und ausgedeutet hat:

Verlesung von Joh 2,13-22

Und der Juden Passa war nahe und Jesus zog hinauf nach Jerusalem. Und er fand im Tempel sitzen, die da Ochsen, Schafe und Tauben feilhielten, und die Wechsler. Und er machte eine Geißel aus Stricken und trieb sie alle zum Tempel hinaus samt den Schafen und Ochsen und verschüttete den Wechslern das Geld und stieß die Tische um und sprach zu denen, die die Tauben feilhielten: "Traget das von dannen und machet nicht meines Vaters Haus zum Kaufhause!"
Seine Jünger aber gedachten daran, dass geschrieben steht ( -nämlich im 10. Vers des 69. Psalms -):
"Der Eifer um dein Haus hat mich gefressen" (frisst mich auf -).
Da hoben nun die Juden an und sprachen zu ihm: "Was zeigst du uns für ein Zeichen, dass du solches tun darfst?"
Jesus antwortete und sprach zu ihnen: "Brechet diesen Tempel ab, und in drei Tagen will ich ihn aufrichten,"
Da sprachen die Juden: "Dieser Tempel ist in sechsundvierzig Jahren erbaut; und du willst ihn in drei Tagen aufrichten?"
Er aber redete von dem Tempel seines Leibes.
Da er nun auferstanden war von den Toten, gedachten seine Jünger daran, dass er dies gesagt hatte, und glaubten der Schrift und dem Wort, das Jesus gesagt hatte.

Dieses ganze Evangelium wird für uns entwertet, wenn wir es dazu benutzen, um darüber nachzudenken, ob Jesus Gewalt angewendet hat und ob wir in seiner Nachfolge darum auch Gewalt anwenden dürfen: Gewalt von Peitschen, Maschinengewehren oder Atombomben. Jesus hat einfach das jeweils notwendige Mittel benutzt, um das Ziel zu erreichen: Für die Ochsen und Schafe die Peitsche - für die Menschen das prophetische Bibelwort aus Sacharja, wo es im letzten Vers des Buches heisst: "Und es wird keinen Händler mehr geben im Haus des Herrn zu jener Zeit." Jesus sagt das dann so: "Machet nicht meines Vaters Haus zum Kaufhaus."

Es geht Jesus also um des Menschen Frömmigkeit. Sie ist vermarktet worden - so, wie man auch heute bei vielen Dingen und Ereignissen immer zuerst die Frage stellt: "Wie lässt sich das vermarkten?" - und Frömmigkeit hat sich zu allen Zeiten hervorragend vermarkten lassen, denn: Es ist leichter, die Geldbörse zu zücken und Frömmigkeit zu kaufen als mit ganzem Herzen und mit allen Kräften ein Leben lang Gott zu lieben und den Nächsten wie sich selbst. Und wenn das Leichtere dann noch von denen, die es besser wissen müssten, als Wille Gottes ausgegeben wird, ist die Frömmigkeit verdorben. Das Gotteshaus ist zum Kaufhaus geworden. Der Glaube der Reichen ist wertvoller als der Glaube der Armen, Stolperschwellen werden im Tempel gelegt, Grenzen gezogen, Einzel- und Gruppeninteressen arbeiten sich an die Spitze vor. Die Anbetung Gottes nimmt nicht mehr die erste Stelle ein, das Sprechen mit IHM, das Fragen nach IHM, das sich erinnern.

Wenn Jesus also eine Aktion gegen vermarktete und dadurch gestorbene Frömmigkeit unternimmt in seiner Zeit, so tut er etwas Grundsätzliches, gültig für alle Zeiten, gültig für mich und für Sie. Er will uns zum direkten Gegenüber mit Gott befreien und wendet sich gegen alle Voraussetzungen, die wir aufstellen, ehe wir jemanden als fromm anerkennen. Frommsein geht nicht auf in: Gottesdienstbesuch, im Kollekten geben und Kirchensteuer zahlen, geht nicht auf in Bibelstudium und im Singen liturgischer Texte.

Jesus hat an jenem Tage im Tempel zu Jerusalem für jeden Menschen dieser Welt einen voraussetzungslosen Weg zu Gott freigemacht.

Das alte Tempelgebäude hat von jenem Tage an stetig an Bedeutung verloren. Als der Tempel dann im Jahre 70 zerstört wurde am 9. Tage des Monats AW, gab es in Israel genügend Menschen, für die das keine absolute Katastrophe war, weil sie gelernt hatten, Gott im Geist und in der Wahrheit anzubeten.

Der Angriff Jesu auf die vermarktete Frömmigkeit ist ihm teuer zu stehen gekommen. Die Jünger haben das in einem Psalmvers ausgedrückt gefunden (in unserer Beerdigungsagende wird das Wort bei einem Selbstmörder verlesen!): "Der Eifer um dein Haus frisst mich auf." - das heisst: Er kostet mich das irdische Leben,
Jesus hatte diesen Preis seines irdischen Lebens den Juden, die er gewinnen wollte für rechte Frömmigkeit, eingeräumt, hatte gesagt: "Brechet diesen Tempel ab!" - hatte seinen eigenen Leib gemeint, hatte diesen Leib der Gewaltanwendung damit anheim gegeben, als er sich bei seiner Aktion nicht verstanden und nicht akzeptiert fühlte.

"Brechet diesen Tempel ab!" - das ist totaler Gewaltverzicht, aber das ist nicht gleichbedeutend mit 'Verzicht auf Zukunft', mit 'Verzicht auf Gerechtigkeit für die Armen', denn nach der Aufforderung "Brecht diesen Tempel ab!" folgen die entscheidenden Worte: "Und in drei Tagen will ich ihn aufrichten - will ich auferstehen".

Wir haben es also am 10. Sonntag nach Trinitatis, dem Gedenktag der Tempelzerstörung, mit einer Kreuzigungs - und Auferstehungsgeschichte zu tun. Es geht nicht nur um Reinigung eines Tempels oder um Reformation von Gottesdienst, sondern um Gottes neuen Weg auch mit Ihnen und mir, mit Feinden und Freunden, mit Frommen und Gottlosen. Gott räumt immer wieder Mauern und Barrikaden und Hemmschwellen und Grenzen und 'notwendige' Voraussetzungen weg, die sich zwischen ihn und uns gelegt haben, damit er uns ganz nahe ist und wir ihm ganz nahe sein können. Gott schenkt diese Nähe und freut sich, wenn wir sie anderen gewähren, die mit einem Bild von vermarktender Kirche und vermarkteter Frömmigkeit leben, sich aber nach Echtheit sehnen.

So sehe ich als Anhänger einer absoluten Gewaltlosigkeit es als nicht so schwer an, mir dieses Evangelium vom die Peitsche schwingenden Jesus im Tempelbereich zu erklären. Schwer fällt mir dieser Einsatz für alle Menschen dieser Welt, wie ich ihn bei Jesus kennengelernt habe, weil ich in mir viel mehr von jener Mentalität der Händler und Geldwechsler, der Schwellenleger und Abgrenzer sehe als dass ich mit der Gewissheit lebe, die sich in solche n Worten ausdrückt wie "Brechet diesen Tempel ab und Gott wird ihn nach drei Tagen aufstehen lassen."

So tröste ich mich und Sie - wenn es Ihnen ähnlich gehen sollte - mit den Worten des Paulus im Brief an Christen in Rom: "...dass Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren.

Und allein darum wird auch - wie unsere Vorfahren bekannt haben - trotz aller Vermarktungen und falschen Auslegungen ...und und und ... "immer eine heilige christliche Kirche sein", zu der Gott uns durch Christus eingeladen hat und zusammen mit anderen immer wieder einlädt. Amen