6. Geschichtlicher Hintergrund des Johannesevangeliums

Es ist klar, dass die joh. Gemeinde die Wirkung des Synagogenbannes (um 85 n.Chr.) zu spüren bekam. Die Gemeinde hat sicher auch das Abreissen des Tempels im Zusammenhang des Jüdischen Krieges erlebt21 und das Auftreten von >Dieben und Mördern<,22 die in ihrem eigenen Namen gekommen sind. Diese sind für die christlichen Schafe Fremde und werden von ihnen nicht akzeptiert, jedoch von anderen Juden. Die Diebe und Mörder verlassen im Ernstfall ihre Schafe, und Feinde erhaschen und zerstreuen sie. Die Situation erinnert an das, was Josephus uns z.B. über Johannes von Gischala berichtet.23 So existiert die joh. Gemeinde wohl vor Beginn des Jüdischen Krieges und nimmt an Tempelwallfahrten und Synagogengottesdiensten teil, wird aber ca. 85 n.Chr. aus der Synagoge ausgestoßen. Während des Krieges beteiligt sich die Gemeinde nicht am Aufstand. Sie weiß, dass, wer das Schwert nimmt, durch das Schwert umkommt und sieht in Christus ihren König, dessen Reich nicht von dieser Welt ist. Er ist in die Welt gekommen, um als König für die Wahrheit zu zeugen. Aus der joh. Form der Verhandlung vor Pilatus wird eine gewisse Römerfreundlichkeit sichtbar, wie sie aus einigen Städten des Königreichs Agrippa II. bekannt ist.24 Das Königtum Jesu ist nach Meinung des Evangelisten so geartet, dass Pilatus im Hinblick auf Joh 18,37 Jesus für unschuldig erklärt (19,4) und danach trachtet, Jesus loszulassen (19,12). Das heißt in der joh. Sprache auch: Von jüdischen Mitbürgern als kaiserfeindlich denunzierte Christen (19,12) - weil sie an Jesus als ihren König glauben - erweisen sich nach der joh. Aussage, dass das Reich dieses Königs nicht von dieser Welt ist und dass die Macht der Römer als Macht von Gott zu verstehen ist, als nicht kaiserfeindlich. Die Aussage, dass die Römer ihre Macht von Gott haben, teilt die joh. Gemeinde mit Josephus.25