Rezension K. Berger: Im Anfang war Johannes. Datierung und Theologie des Evangeliums

Klaus Berger,

Im Anfang war Johannes.
Datierung und Theologie des Evangeliums,

Stuttgart, Quell Verlag, 1997, 312 S

 

Rezension von Günter Reim
In: Biblische Zeitschrift 2/1998

 

Ich habe kein exegetisches Buch mit so zwiespältigen Gefühlen beiseitegelegt wie dieses: Volle Zustimmung zu manchen Ergebnissen und theologischen Aussagen – volle Ablehnung von Hypothesen und Ansprüchen.

Wiederholt ist in den letzten Jahrzehnten auf altes Material im Johannesevangelium hingewiesen worden, das älter ist als die Synoptiker im Jetztzustand und unbedingt ernst genommen werden muss. T. A. Mohr hat einen genauen, vom Markus-evangelium ausgehenden Vergleich mit dem joh Material angestellt. Ich hatte schon in meiner Oxforder Dissertation von 1967 (1995 in: JOCHANAN. Erweiterte Studien zum alttestamentlichen Hintergrund des Johannesevangeliums) vom ‚Vierten Synoptiker’ gesprochen, der in seiner Urform älter als die uns vorliegenden Synoptiker zu sein scheint.
B. kommt zu einem sehr viel anderen Ergebnis: Das gesamte Johannesevangelium ist älter als die Synoptiker! Joh konnte sie also nicht gekannt haben, sondern hat mündliches Material benutzt und schreibt in einer alten christologischen Sprechweise, die den paulinischen Briefen und dem Hebräerbrief näher ist als die Synoptiker. Für B. ist
Joh 1-21 ein zusammenhängendes Werk,
an dem keine Literarkritik zu üben sei,
das keine Umstellungen benötige,
in dem keine Schichten nachzuweisen seien,
das nicht unter ‚Anspielungsmanie’ auf dem Hintergrund von AT und Synoptikern leiden dürfe.
Auch die Versuche, alte Jesusworte herauszufiltern, müssen als vergebliche Mühe gesehen werden.

Der Verf. des Evangeliums muss von seiner Heimat Alexandrien über Palästina nach Kleinasien gewandert sein. „Möglicherweise ist er am Ende seines Lebens nach Alexandrien zurückgekehrt, denn in Ägypten ist sein Evangelium bekanntlich sehr früh bezeugt.“ Das Evangelium ist „zwischen 67 und 70“ entstanden. Der Tempel steht noch. Die Ausstoßung aus der Synagoge hat mit dem Achtzehner-Gebet nichts zu tun, wie auch der sog. „Antijudaismus“ in Joh 8 nicht spät ist. Die vom Johannesevangelium angesprochenen Adres-saten – Täuferjünger, christl. Pharisäer, christl. Samaritaner, Judenchristen, eine palästinensische Gruppe mit Frauenzeugnis – sind Gruppen im Frühstadium. Es gibt noch keine hier-archischen Strukturen. Auch der Paraklet ist älter als andere Geistauffassungen. Der Menschensohn ist von Ezechiel her zu verstehen. Das Johannesevangelium kennt kein Abendmahl, keine Bezeichnung Jesu als Passalamm, keine Auffassung des Todes Jesu als Sühnetod... Der Evangelist ist eine ‚Art Sekretär’. Der Lieblingsjünger und Augenzeuge ist Andreas, der von Anfang an dabei war. Im Johannesevangelium findet sich ein eigenständiger Ursprung der Gattung Evangelium.

Gegen Ende des Buches werden kurz die Beziehungen zwischen Paulus und Johannes, zum Kolosser- und Hebräerbrief und zu Matthäus angesprochen. Das Verhältnis zu Mk und Lk wird nicht thematisiert.

  • Ich stimme zu, dass das Evangelium als zusammenhängendes Werk gesehen werden muss – aber unter Benutzung der Literarkritik, -
  • dass nicht die Gnosis zum Vergleich herangezogen werden sollte und der Evangelist Jude ist, die Adressaten Judenchristen.
  • Ich stimme Aussagen zu wie etwa zum ‚Antijudaismus’ (79) und zur Authentizität (128) und dass das Johannesevangelium zum Ziel hat, verschiedene Gruppen anzusprechen und zu sammeln.


  • Ich kann aber nicht die Ansicht über die ‚Anspielungsmanie’ teilen – der Berger übrigens bei seiner Herleitung des Menschensohnes aus Ezechiel (157-164!) erliegt. Jes 52,13ff und Jes 53 müssen ebenso als Hintergrund für joh Aussagen gesehen werden wie die Parallelen zu dem joh ‚Ich-bin’ (der Evangelist kann Hebräisch!) und Jes 28,16 zu dem joh und paulinischen ‚glauben an’.

Der Frühansetzung kann ich aus vielen Gründen nicht zustimmen.

Wengst (bei B. S. 76) ist nicht widerlegt.

Die birkat haminim ist immer noch die beste Erklärung des aposynagogos’, wie auch zu diesem Punkt unbedingt Justin herangezogen werden muss, der auch viele mündliche Traditionen enthält, die im Johannesevangelium ihre Parallelen haben und nicht aus einer Frühansetzung des Johannesevangeliums erklärt werden können. Gegen eine solche spricht auch grundsätzlich, dass es keine neutestamentliche Wirkungsgeschichte des so frühen Evangeliums von einem so weit herumgekommenen Evangelisten mit Kontakten zu vielen Gruppen gibt. Sollte auch die Gemeinde des wiederholt herangezogenen Hebräerbriefes ihr Verständnis des Todes Jesu nicht dem Evangelisten – wie manches andere – übermittelt haben?

Wenn meine Einwände gelten sollten, wird man nur das bei Joh enthaltene Material eines (schon überarbeiteten) vierten Synoptikers für eine neue Deutung der Jesusüberlieferung verwenden könne. Dass Berger Mut macht, das Johannesevangelium wieder als Ganzes zu lesen, findet meine ungeteilte Sympathie.

Wünsche: Das Stellenregister müsste gründlich überarbeitet werden, weil viele im Buch angesprochene Stellen darin nicht oder falsch erscheinen. Fehler in den Überschriften: S.44, 278, 282, 288; S. 73 statt Joh 1,5. 1,51.