Von der Schwierigkeit, Ps 95 als sehr wichtigen Hintergrund für johanneische Sprechweise und Theologie zu entdecken

Im Hebräerbrief finden wir sehr klare Zitate aus Psalm 95 - nicht so bei Johannes, obwohl dieser Psalm den Hintergrund für viele johanneische Aussagen bildet, wie ich mit diesem Artikel zu erweisen versuche.
Wenn Johannes traditionelles Material aus dem „vierten Synoptiker“6·verwendet, verwendet er zusammen mit diesem Material auch direkte Zitate. Aber wenn er in seine eigene Sprechweise überwechselt, benutzt er das AT oft in einer Weise, dass es nicht immer auf den ersten Blick erkennbar ist, weil eine Einleitungsformel für ein Zitat fehlt und der alttestamentliche Text vom Evangelisten verändert worden ist. Dafür nur einige Beispiele:
Johannes benutzt Jes 52.13; 28.16 und Ex 34.6, desgleichen das „Ego Eimi“ aus Deuterojesaja - aber er zitiert nicht.
Wenn dem Evangelisten die Bezeichnung Jesu als „Knecht Gottes“ aus Deuterojesaja als nicht angemessen erscheint, ersetzt er sie durch die Bezeichnung „Menschensohn“·, verbindet also den Titel Menschensohn mit Erhöhung und Verherrlichung des Knechtes Gottes.
Hätte Johannes nur ein einziges Mal das Wort „Heute“ aus Ps 95.7 gebraucht - und nicht sein „nun“ wie in 4.23 und 5.24-5 - dann würden wir schon früher Ps 95 als wichtigen Hintergrund für den Evangelisten und viele seiner Aussagen gesehen haben.
Warum aber ändert Johannes das „Heute“ in das „nun“ um? Ich habe darauf hingewiesen, dass Johannes ein bestimmtes Muster benutzt, um die Jesuszeit in Verbindung mit der Exoduszeit zu bringen.7 Als Verbindungsglied benutzt der Evangelist eine Prophezeiung aus Jesaja/ Deuterojesaja: Die Israeliten tranken einst beim Auszug in der Wüste Wasser aus dem Fels. Die Prophezeiung von Jes 28,16 besagt, dass derjenige, der an den Messias glaubt, leben wird und die Prophezeiung von Deuterojesaja spricht für Johannes davon, dass der Messias die Durstigen zum Trinken einladen werde. Joh 7,37ff wird dann die Erfüllung dieser Verheißung dargestellt - nur durch Jesus ist das Konzept des Exodus zum erfolgreichen Ende gekommen! Und zwar in dem Augenblick, in dem die Menschen hören - heute!
Indem Johannes Ps 95 mit den dazugehörenden Paralleltexten (Exod 17,1ff; Num 14,1ff; Deut 9,22-4; 29,18; 33,8. 11 benutzt, fügt er die Idee des „glauben an IHN“ aus Jes 28,16 hinzu und die Prophezeiung Jes 48,6 mit dem „nun“ (beachte den Kontext!) und zeigt auf diese Weise, dass der Exodus zu seinem verheißenen Ziel dann kommt, wenn Menschen „heute“ (Ps 95,7) = „nun“ (Jes 48,6) auf die Stimme des Messias hören, an ihn glauben und in die verheißene „Ruhe“ (Ps 95,11) = in das ewige Leben (Jes 28,16) eingehen.
Vgl Joh 5,24-5: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer mein Wort hört (Ps 95,7) und glaubt dem, der mich gesandt hat (Jes 28,16), der hat das ewige Leben (Ps 95,11/Jes 28,16) und kommt nicht in das Gericht (Ps 95,11), sondern er ist vom Tode zum Leben hindurchgedrungen (Ps 95,11/Jes 28,16).“
„Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Es kommt die Stunde und ist schon jetzt (Jes 48,6), dass die Toten hören werden die Stimme des Sohnes Gottes (Ps 95,7), und die sie hören werden (Ps 95,7), die werden leben (Ps 95,11/Jes 28,16).8·