Zur Textabgrenzung
Es sollte nur entweder über Joh 20,19-23 oder 20,24-29 (30f) gepredigt werden wegen der unterschiedlichen Schwerpunkte.
1. Überlegung: Zur Predigt über Joh 20,19-23
Text für bedrohte Christen: Friedensgruß!
Ein Text für christliche Gemeinden in der Welt, die bedroht werden, die leise sprechen, sich abkapseln, Verräter fürchten. Eine Gemeinde aus Menschen, denen man nach dem Leben trachtet, die für eine gerechte Sache gegenüber ungerechten Machthabern eintreten, die aussichtslos wäre, wenn nicht der in ihre Mitte träte, der mit dem Friedensgruß alles ändert:
Angst-Käfig wird zum Friedensort
Der Raum wird aus einem Angstkäfig zum Friedensort. Die bis zum Äußersten Verunsicherten werden zu Friedensträgern. Das Kreuz des Scheiterns bekommt nun zusätzlich eine zweite, gewichtigere Dimension:
Das Kreuz wird zum Entstehungsort des Friedens
Das Kreuz wird zum Entstehungsort des Friedens. Die Kreuzigungswunden sind nun Zeichen des lebendigen Jesus. Die Türen des Raumes können geöffnet werden und entlassen ins Martyrium in seiner Doppelbedeutung: Leiden und befreiendes Zeugnis.
Doppelheit des Friedenswunsches
Die Doppelheit des Friedenswunsches überrascht: Zuerst nimmt er Angst und, zum zweiten Male ausgesprochen, steht er über der Sendung.
Der Ursprungsort der Sendung
Diese Sendung wird in johanneischer Sicht beschrieben als eine Sendung, die nicht zu Ostern des Jahres 33 ihren Ursprung hat, sondern in der Ewigkeit des Vaters, damit die Liebe, mit der Gott die Welt geliebt hat und die in Jesus Praxis geworden ist, weitergeht zu allen Menschen. Es lohnt sich, dem (griech.) „kathoos“, „wie“ anhand der Konkordanz im Johannesevangelium nachzuspüren[GR1] !
Was Zusage war, ist jetzt Wirklichkeit: Friede
Was Jesus Glaubenden auf seinem Weg zum Kreuz zugesagt hatte, Frieden (14,27) und Freude (16,22), wird in dem abgeschlossenen Raum, wie in einer Geburtskammer Wirklichkeit, die sich durch die Zeiten verbreitet bis zu uns.
Geistbegabung – Abschluss des ersten Sonntags der Weltgeschichte
Die Begabung mit dem Geist, die auch eine Befähigung zur Vergebung und somit zur Gemeindebildung und Gemeinschaftserhaltung ist, aber auch Schutz vor der Herrschaft zerstörender Kräfte, bildet den Abschluss des ersten Sonntags der Weltgeschichte, der in Joh 20,1-23 so bewegend beschrieben ist.
2. Überlegung: Zur Predigt über Joh 20,24-29
Auch wenn nur über die Verse 24-29 gepredigt wird, sollte der Text ab 20,19 verlesen werden.
Thomas
Es gibt außer Petrus und dem Lieblingsjünger keinen Jünger, der so genau beschrieben wird wie Thomas (vergleiche die Thomaskantate auf dieser homepage!).
Wichtige Person der vorjohanneischen Gemeinde
Er muss in der Gemeinde, von der der Evangelist Johannes sein synoptikerähnliches Evangelium[GR2] erhalten hat, eine wichtige Person gewesen sein. Warum? Er ist durch seine Extremhaltungen von Unglauben an die Auferstehung und seine Martyriumsbereitschaft auf der einen Seite und sein nicht zu überbietendes Bekenntnis zu Jesus „Mein Herr und mein Gott!“ zum Leitbild für eine missionierende Gemeinde geworden. Mit ihm konnten sich Sympathisanten Jesu identifizieren, die genug an dem leidenden Jesus gehabt hatten oder andere, die der Auferstehung die größte Skepsis entgegenbrachten. Thomas konnten aber auch die verehren, die die vorösterliche Extremhaltung des Thomas selbst nicht nachvollziehen konnten, sondern schon im Glauben an Jesus aufgewachsen waren, ohne in großen Krisen gewesen zu sein.
Der Thomas des Bekenntnisses – der skeptische Thomas: Namen von Kirchen
Die verschiedenen Extreme bei Thomas zeigen sich in der Namensgebung von Thomas-Kirchen: In früheren Jahrhunderten wohl eher nach dem Thomas des Bekenntnisses (ich denke an die Leipziger Thomaskirche), in unserem Jahrhundert wohl eher nach dem skeptischen Thomas, dem sich Ingenieure und Wissenschaftler nahe fühlen (ich denke an „meine“ Thomasgemeinde in einem Siemenswohnviertel in Erlangen). Thomas ist aber auch eine Identifikationsfigur für jeden, der in verschiedenen Lebensumständen sich einmal mehr zu dem skeptischen und zweifelnden, Bedingungen stellenden Thomas hingezogen fühlt, ein anderes Mal zu dem, der sicher bekennt.
Wichtig ist, wie Jesus mit dem Zweifler umgeht: Der Friedenswunsch wird wiederholt.
Predigt am Sonntag Miserikordias Domini 1965
in Birmingham und am Sonntag darauf in Coventry über Joh 20,24-31
Verlesung des Evangeliums
Liebe Gemeinde,
mit dem Thomas haben wir alle zusammen eines gemeinsam: Wir haben am Ostersonntag, an dem Christus auferstanden ist, ihn nicht gesehen wie die anderen Jünger. Und: Wir leben, ohne den Auferstandenen jemals gesehen zu haben.
Haben wir dann nicht ein Recht, wie Thomas zu sprechen: "Es sei denn, dass ich in seinen Händen sehe die Nägelmale und lege meine Finger in die Nägelmale und lege meine Hand in seine Seite, will ich nicht glauben."?
Ich will nicht glauben, ehe ich gesehen habe. Ich will nicht einem Gerücht zum Opfer fallen. Ich will mein Leben nicht auf eine Lüge aufbauen, nämlich: Dass Christus, der am Kreuz gestorben ist, auferstanden sei.
Ich will nur unter Bedingung glauben.
Ich will festen Grund für meinen Glauben haben und spreche:
"Es sei denn ... - sonst nicht!"
Eine ganze Woche war dieses 'Es sei denn...' des Thomas in Geltung. Das ist eine lange Zeit, wenn man bedenkt, dass dieser Jünger die ganze Woche im Kreise der ihm vertrauten anderen Jünger war und diese alle erfüllt waren von der Begegnung mit dem Auferstandenen. Aber Thomas hielt sein 'Es sei denn ... sonst nicht!' durch. Eine ganze Woche.
Wir können auch sagen: Nur eine Woche - denn wenn wir auch die Nägelmale sehen wollten, so könnten wir wohl 1000 Jahre darauf warten - umsonst!
Muss unser Glaube wirklich ohne Grundlage bleiben? Oder anders: Gibt es, weil wir ehrlich sein wollen, für uns nur den Unglauben? Müssen wir uns bescheiden, die ewig Fordernden zu bleiben: 'Es sei denn ... sonst nicht'?
Ist Thomas die einzige Ausnahme? Ist er der einzige Zweifler in 2000 Jahren, dem Jesus seinen Zweifel persönlich wegnimmt?
Es sieht so aus.
Denn nach dieser Geschichte vom 'ungläubigen Thomas' bleibt nichts mehr zu berichten. Wir stehen plötzlich vor dem Schlusssatz des Evangeliums. (heute, im Jahre 2012 und schon lange vorher denke ich anders über Joh 21 und sehe Joh 20,30f nicht als Schlusssatz des Evangeliums. Siehe den Aufsatz dazu auf dieser homepage.)
So bleibt wohl nur für den Thomas die befreiende Begegnung, durch die er zu dem begeisterten Bekenntnis kommt: "Mein Herr und mein Gott!"
Wie gern hätten wir für jeden Tag diese Gewissheit, die so wie Thomas sprechen kann. Wie gern hätten wir wie er die Freude, unter einem zu leben, der wirklich Herr ist und zu dem wir ganz 'ja' sagen können.
Warum denken wir eigentlich so? Christus ist doch nicht wie wir, die wir den einen vorziehen und den anderen benachteiligen. Christus ist für alle Zeiten der Auferstandene und er will uns auch den Zweifel nehmen, den er dem Thomas genommen hat. Deswegen sagt er uns durch das Wort an Thomas: "Selig sind, die nicht sehen und doch glauben."
Wir könnten hier voreilig sagen: Also doch glauben - ohne Grund, ohne Hilfe. Ich kann das aber nicht.
Aber wir dürfen folgendes nicht vergessen: Wir stehen gar nicht so leer da. Der Evangelist Johannes schreibt:
"Noch viele andere Zeichen tat Jesus vor seinen Jüngern, die nicht geschrieben sind in diesem Buch. Diese aber sind geschrieben, dass ihr glaubet, Jesus sei der Christus, der Sohn Gottes, und dass ihr durch den Glauben das Leben habet in seinem Namen."
Mit diesem 'geschrieben' steht Johannes für die Wahrheit ein.
Nun können Sie sagen: Wie kann ich mich auf das verlassen, was vor 2000 Jahren 'geschrieben' worden ist?
Sie haben mehr als nur den Buchstaben! Sie haben einen, der Ihnen heute dieses Buch im 20. Jahrhundert vorliest, weil er glaubt und der vor Jahren einen anderen dieselbe Botschaft verlesen gehört hat, weil der geglaubt hat - und so weiter in die Vergangenheit zurück bis zu denen, die dem Thomas gesagt haben: "Wir haben den Herrn gesehen" und die so für diesen Herrn eingestanden sind.
Wieder können Sie sagen: Wie können wir uns auf das Wort des Pastors verlassen. Er kann doch einem Irrtum zum Opfer gefallen sein.
Sie, liebe Gemeinde, haben mehr als diesen Pastor. Sie haben den auferstandenen Christus, der Ihnen begegnen will, wie er den Jüngern begegnet ist. Er begnügt sich nicht mit dem Titel, den ihm in einmaliger Weise vor 2000 Jahren Thomas gegeben hat, als er bekannte: "Mein Herr und mein Gott!" Er will mein Herr und mein Gott sein.
Christus hatte vor seinem Tode gesagt:
"Aber der Tröster, der Heilige Geist, welchen mein Vater senden wird in meinem Namen, der wird euch alles lehren und euch erinnern alles des, was ich euch gesagt habe." Und: "Wenn aber jener, der Geist der Wahrheit, kommen wird, der wird euch in alle Wahrheit leiten."
Wenn Christus wirklich auferstanden ist, können wir damit rechnen, dass wir dem Geist der Wahrheit begegnen werden. Wenn diese Begegnung stattfindet - sei es beim Lesen des Neuen Testamentes, sei es beim Hören einer Predigt, sei es im Gespräch mit einem Christen oder mit seinem tätigen Einsatz für uns - wenn diese Begegnung stattfindet, dann gibt es für uns keinen Zweifel mehr, denn das liegt im Wesen der Wahrheit. Dann gibt es für uns nur noch die Entscheidung für einen der beiden Wege:
/für den Weg des Judas, der seinen Herrn verriet, obwohl er ihn kannte und der Herr ihn liebhatte oder
/für den Weg des Thomas mit dem Bekenntnis: "Mein Herr und mein Gott."
Für diese Stunde der Begegnung, die nicht ein 'Sehen' sein wird, gilt Christi Wort:
"Selig sind, die nicht sehen und doch glauben."
Diese Seligkeit bekommt man hier in dieser Welt zu spüren, Es ist die Freude, dass man weiss, dass man diesen Herrn hat. Es ist die Freude, die unser Herr in diese Welt hinein gibt und die immer größer wird, wie geschrieben steht:
"...und dass Ihr durch den Glauben das Leben habt in seinem Namen."
Amen
[GR1]Texte zu dem „kathoos“ s. Hinführung zu Joh 15,9-12
[GR2]ein kleines Evangelium, das viele Texte enthielt, die man auch bei Markus findet. Dieses Evangelium ist aber nicht von Markus abhängig. Es hat auch eine Reihe Jesusworte enthalten, die jetzt nur noch bei Johannes zu finden sind. Eine Gemeinde vor Johannes hat dieses alte Evangelium schon überarbeitet.