Joh 6,55-65 (und Predigt über Joh 6,65-71)

zu Joh 6,55-65
s. auch Joh 6,30-35 und Joh 6,47-51

 

Beginn (6,1-15): die Speisungsgeschichte  

Ende (6,66-71): Unglaube und Verrat
oder:
Bekenntnis

Auch wenn Joh 6 aus unterschiedlichen Quellen stammt, so ist doch das Kapitel in meiner Sicht, wie es jetzt dasteht, ein Gesamtkunstwerk des Evangelisten Johannes. Es knüpft an die traditionelle Geschichte von der Speisung der 5000 an und führt über verschiedene Stationen am Ende zu zwei Einzelpersonen mit verschiedener Haltung: Einer, Petrus, bekennt sich im Namen anderer Jünger zu Jesus. Der andere, Judas Ischarioth, wird Jesus verraten.
Zu diesem Ergebnis kommt es in dem Kapitel durch Gespräche Jesu mit Zuhörern.

Von der aktuellen Speisung
über die Situation vor über 1000 Jahren v. Chr. in der Wüste
zur Jetztzeit

Der große Schritt, den Jesus macht, ist von der geschehenen Speisung zu einer Situation in der Geschichte Israels, als die Führung aus der Sklaverei in Ägypten durch Gott und die Speisung mit Manna im Murren der Geführten endete:

2.Mose 16,8

„Weiter sprach Mose: Der Herr wird euch am Abend Fleisch zu essen geben und am Morgen Brot die Fülle, weil der Herr euer Murren gehört hat, womit ihr wider ihn gemurrt habt. Denn was sind wir? Euer Murren ist nicht wider uns, sondern wider den Herrn.“

Die drei Worte in Schrägschrift und die ganze Situation in der Wüste finden sich in Joh 6, wo Jesus eine Interpretation des Brotes als Brot, das Gott jetzt vom Himmel gibt und des Fleisches, das Gott in Jesus gibt, der Fleisch geworden ist (Joh 1,14), der sich für das Leben der Welt gibt in seinem Leib (Joh 2,21; 10,17f; 19,38-40).

Brot und Fleisch

Während die murrenden Väter in der Wüste gestorben sind, verheißt Jesus denen, die sein Wort und seinen Lebensweg annehmen, Leben in Ewigkeit.

„Brot“ wird zum Symbol für das zu hörende und zu sehende Geschehen zwischen dem Gesandten Gottes und den Menschen (vgl Joh 6,45: Alle werden Belehrte Gottes sein - Jes. 54,13).

„Fleisch“ wird zum Symbol für die gesamte Lebenshingabe Jesu (im Anschluss an das Verständnis von LXX Ps 39,7, wie es sich auch in Hebr 10,5-10 zeigt, aber aus der Übersetzung Luthers nicht ersichtlich ist – vgl. die Erklärung bei der Hinführung zu Joh 6,47-51)). Es wird also in Joh 6,51ff nicht nur auf das Abendmahl angespielt, sondern auf die gesamte Lebenshingabe Jesu, wie der genannte Psalm auch zeigt: Ps 40,8-9: „Da sprach ich: Siehe, ich komme; im Buch ist von mir geschrieben:
V. 9 Deinen Willen, mein Gott, tue ich gern, und dein Gesetz habe ich in meinem Herzen .“

Nur Joh 6,51-59 als Predigttext

In der Predigt sollte der Text ab 6,51-6,59 verlesen werden. V. 60ff bringt dann noch neue Gedanken, die in dieser Predigt wegen der Kompliziertheit des Textes nicht auch noch angesprochen werden sollten.

Ein Geschehen für das Leben der Welt

Es geht im Predigtwort nicht um ein Geschehen mit einer großen Gruppe von Juden zur Zeit Jesu, sondern um ein Geschehen für das Leben der Welt! In unserer Zeit, die voll ist von Tod und Unverständnis gegenüber dem Leben aus Gott, ist V. 51 besonders wichtig.

Hadern – Streiten – Steinigung – Tod - Kreuz

Eine Form dieses Unverständnisses gegenüber dem Leben aus Gott zeigt sich in 6,52, wo bezeichnenderweise das Wort „streiten“ steht, das Luther in Ex 17,2.7 mit „hadern“ wiedergibt (2.Mose 17,2: „Und sie haderten mit Mose und sprachen: Gib uns Wasser, dass wir trinken. Mose sprach zu ihnen: Was hadert ihr mit mir? Warum versucht ihr den Herrn ?“). Vgl. Ps 95, vom Evangelisten intensiv genutzt.
Dieser Streit mit Mose führte beinahe zu seiner Steinigung. Der Streit mit Jesus wird zum Kreuz führen – und zum Leben.

Wenn Jesus das Unverständnis in 6,53 sehr verstärkt, weiß die johanneische Gemeinde, die Abendmahl feiert, dass das Verlassen der Gemeinde (vgl. den Begriff „bleiben“ in 6,56) und die Aufgabe der Teilnahme am Mahl Aufgeben des von Gott geschenkten Lebens bedeutet.

Ein Leben nur auf der unteren Ebene des Essens und Trinkens führen?
Oder:
In der Gott in Jesus feiernden Gemeinde Gottes Ebene erleben?

Es geht im Predigtabschnitt auch um existentielle Probleme der johanneischen Gemeinde und stellt uns die Frage nach unserer Bindung an den Jesus im Abendmahl und am Kreuz.

In 6,57 wird der Weg des Lebens beschrieben: Vom sendenden und lebendigen Vater über den gesandten Sohn hin zur feiernden Gemeinde.

6,58 wird die alte Form des Lebens beschrieben, in der man auf der unteren Ebene bleibt und nur etwas zu kauen haben will. Es endet im Tode.

Verkündigung Jesu in der großen Gemeinde

6,59: Die Notiz von der Lehre Jesu in der Synagoge von Kapernaum ist für Johannes und seine Gemeinde wichtig: Kann man Jesus doch nicht vorwerfen, dass er nur im Winkel gepredigt hätte und die Masse des Volkes nicht erreicht worden wäre. Jesus erfüllt nicht nur Ps LXX 39 in der Hingabe des Leibes und dem Tun des Willens Gottes, sondern auch: Ps (LXX 39,10) 40,10

„Ich verkündige Gerechtigkeit in der großen Gemeinde.“

 (Wer sich über diesen Text (LXX Ps 39/BH Ps. 40) in johanneischer Sicht informieren möchte, findet auf der homepage den Artikel: „Vom Hebräerbrief zum Johannesevangelium anhand der Psalmzitate“)
 

(Wer sich über Ps 95 in johanneischer Sicht informieren möchte, findet auf der homepage den Artikel: Späte Entdeckung. Ps 95 als Darstellungsprinzip für das Wirken des johanneischen Jesus“)

PREDIGT ÜBER JOH 6,65-71
am Sonntag Kantate 1975 in der Thomaskirche Erlangen

Liebe Gemeinde,
vor vier Jahren hat sich ein Mädchen aus unserer Gemeinde als Konfirmationsspruch herausgesucht:
"Gelobt sei der Herr täglich.
Gott legt uns eine Last auf,
aber er hilft uns auch."
Hinter diesen Worten steckt was!
Das Mädchen, inzwischen volljährig und in einer anderen Stadt auf einer Schule, ist vor einem Monat aus der Kirche ausgetreten.
"Wir sind in unserer Klasse alle ausgetreten" - hat es zu seiner Mutter gesagt.
Das tägliche Lob Gottes ist verstummt. Die Lasten des Lebens müssen ohne Gottes Hilfe getragen werden. Ich habe Angst, dass das Mädchen das nicht schafft. Ich hoffe, dass ihm sein Konfirmationsspruch noch einmal zur Hilfe wird, über die es staunt.

Wie es Jesus inmitten einer 'Austrittswelle' gegangen ist, erzählt das Johannesevangelium im 6. Kapitel:
Verlesung des Evangeliums
Die Frage: "Wollt Ihr etwa auch weggehen?" - spricht uns direkt an und verlangt nach einer Standortbestimmung: Wo stehe ich? In welche Richtung gehe ich? Nähere ich mich Jesus oder gehe ich weg von ihm?
Wenn ich darüber genauer nachdenke, merke ich, dass die Frage gar nicht so leicht zu beantworten ist. Als Petrus sich in großartiger Weise zu Jesus bekannt hat, war er in Wirklichkeit der Verleugnung sehr nahe. Als Petrus verleugnet hatte und bitterlich weinte, war ihm in Wirklichkeit Jesus sehr nahe. So geht möglicherweise mancher, der sich von Jesus weg bewegt, einer Begegnung mit ihm zu. Hatte nicht Jesus gesagt:"Niemand kann zu mir kommen, wenn es ihm nicht vom Vater gegeben ist?"
So ist die Begegnung mit Jesus ein Geschenk, für das es ohne Bedeutung ist, ob ich aus der Kirche ausgetreten bin oder nicht? Von Bedeutung ist allein, wie ich reagiere, wenn ich für mich 'Worte des Lebens' höre - ich sei aus der Kirche ausgetreten oder nicht. Auf diese Worte des Lebens kommt es Petrus an, wenn er spricht:"Herr, zu wem sollen wir weggehen? Du hast Worte des ewigen Lebens."
Ich verstehe, dass jemand aus der Kirche austritt, wenn er in ihr dieses Wort nicht hört, wenn er nicht angesprochen wird, wenn er abseits liegen gelassen wird. Natürlich kann ich ihm den Vorwurf machen, dass er sich eben von sich aus um diese Worte kümmern müsste, dass er kommen und hören müsste.
Aber ist das richtig, wenn ich so spreche? Wenn die Begegnung mit Jesus ein Geschenk ist, müsste dann dieses Geschenk nicht zu dem kommen, der damit beschenkt werden soll? Hat Jesus nicht gesagt, dass er gekommen ist, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist?

Mich beeindruckt, was der jugoslawische Marxist Milovan Djilas in einem kleinen Aufsatz geschrieben hat:
"Seit langem bin ich kein Christ mehr. Ich sehe im Christentum keine neuen schöpferischen Kräfte. Aber ich weiss, dass das Christentum die Inspiration der lebendigsten und schöpferischsten aller Zivilisationen gewesen ist. Ich beklage den Zerfall des Christentums nicht - nichts geht unverdient zugrunde. Die Menschen haben schon vor dem Christentum gelebt und gewirkt und so werden sie es auch weiterhin tun. ... Für mich jedenfalls ist das Christentum gleichbedeutend mit Weltanschauung, Status und Herkunft." (FAZ 26.4.1975)

Die Worte des ewigen Lebens sind für Djilas nach Verlust der schöpferischen Kräfte zur Lehre von der völligen Gleichheit geworden - nichts geht unverdient zugrunde!

Hier brauchen wir also keine Standortbestimmung vorzunehmen. Sie ist für uns vorgenommen worden. Aber Standortbestimmungen sind ja keine unverrückbaren Gerichtsurteile. Sie sind zur Kursbestimmung und zur Kursänderung nötig und können neue Möglichkeiten eröffnen. Als viele sich von Jesus zurückzogen und nicht länger mit ihm gingen, war nicht der Tiefpunkt der werdenden Kirche erreicht, sondern ihr Höhepunkt, auf dem schöpferische Worte gesprochen wurden, die bis heute in Kraft sind:
"Herr, zu wem sollen wir weggehen? Du hast Worte des ewigen Lebens! Und wir haben geglaubt und erkannt: Du bist der Heilige Gottes!"

Auch Djilas hat noch nicht gefunden, zu wem er weggehen kann, nachdem er weggegangen ist. Er ist der große Kritiker geworden, der auf der Suche ist. Er ist der Vertreter derer, die nicht mehr Christen sind, die aber vielleicht antworten würden, wenn sie dem Lebendigsten und Schöpferischsten in der Geschichte, den Worten des ewigen Leben in uns begegnen würden.

Die Krise der Kirche könnte uns dazu bringen, unseren Mund zu öffnen für Jesus - aber nicht in der genormten Bekenntnissprache der DDR oder mancher Sekten.
Wir können nicht einfach die Worte des Bekenntnisses wiederholen, die Petrus gesprochen hat, weil das Bekenntnis immer die kritische Sprache des Suchenden aufgreifen muss und weil Bekenntnis nicht nur eine Sache der Sprache ist. Was ich geglaubt und erkannt habe, sieht jeweils anders aus, wenn mein Gegenüber geistig behindert ist oder ein hoch intellektueller Atheist ist, wenn mein Gegenüber am Verhungern ist oder in der Sattheit seines Lebens keinen Sinn mehr sieht. Erst jenes Bekenntnis von mir ist schöpferisch, wenn es unverwechselbar mein Bekenntnis ist und meinem Gegenüber eine ihm bis dahin neue und unerwartete Begegnung mit Jesus ermöglicht. Deswegen also: Kein Rezept vom Pfarrer! Oder von Jesus! - weil Schöpfung weitergeht. Wir können uns nicht zu einem Bekenntnis zwingen. Das Ergebnis würde immer etwas mit Zwang zu tun haben und nicht mit Worten des ewigen Lebens. Wir können uns nicht zu einem Bekenntnis zwingen, aber wir können die Antwort auf Worte des ewigen Lebens, die wir für uns gehört haben und die uns mit Freude erfüllt haben, unausgesprochen sein lassen, ausfallen lassen, ungetan sein lassen.
Wir können das Schöpferische auf Flaschen zu unserem persönlichen Gebrauch abziehen und damit Menschen zu Aussagen zwingen wie:
"Seit langem bin ich kein Christ mehr. Ich sehe im Christentum keine neuen schöpferischen Kräfte."
Wenn er diese Kräfte aber sehen und fühlen kann, weil wir auf Jesus antworten, kann die Krise in der Anhängerschaft Jesu sich zum Höhepunkt des Schöpferischen wandeln - und Jesus kommt Menschen näher, die schon im Weggehen waren.
Gelobt sei der Herr täglich. Gott legt uns 'diese' Last auf, aber er hilft uns auch.
Amen