Über Ostern hat Johannes viel von den vor ihm lebenden Mitchristen erfahren. Er hatte sicher schriftliche Berichte bekommen - doch davon in einem anderen Kapitel. So erleben wir in den letzten beiden Kapiteln des Johannesevangeliums einen Evangelisten, der in die ihm überkommenen Berichte wenig - und dann nur verdeutlichend - eingegriffen hat. Das Eigentliche war für ihn ja schon vor Ostern geschehen, bis hin zur Erhöhung am Kreuz. Nach dem "Es ist vollbracht" in 19,30 kann nur noch Ergänzendes kommen. Die Worte "Und er neigte das Haupt und übergab den Geist" beinhalten wohl zweierlei, einmal jenes "Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist", wie wir es bei Lukas lesen und zum anderen: Jetzt beginnt die Zeit, mit dieser Stunde, da die Gemeinde die Erfahrung des Geistes machen wird vgl 16,7: "Aber ich sage euch die Wahrheit: Es ist euch gut, dass ich hingehe, denn wenn ich nicht hingehe, so kommt der Geist-Advokat nicht zu euch. Wenn ich aber gehe, will ich ihn zu euch senden."
Worin bestehen nun die verdeutlichenden Ergänzungen, die der Evangelist in ihm überkommene Osterberichte einarbeitet? Nach meiner persönlichen Meinung arbeitet der Evangelist nur zwei Begegnungen zwischen Jesus und einer Jüngerin und einem Jünger besonders heraus, Maria Magdalena und Thomas. Die Berichte von diesen beiden waren, wie gesagt, schon vorhanden, aber Johannes möchte mit der Anrede jener Frau zu Ostern, die auf einer anderen Ebene, der Ebene des Grabes, Jesus sucht, - Johannes möchte mit der wunderbar klingenden Anrede "Maria" die obere Ebene allen Mitchristen ins Bewusstsein rufen, die Dialogebene von "Du und Ich", die Martin Buber so eingehend beschreibt, wenn er auch nicht von dieser Osterbegegnung ausgeht. Jeder Mitchrist des Johannes soll mit dieser Geschichte seinen Namen ausgesprochen hören, und zwar: seinen mit dem Leben verbundenen Namen, der in der Begegnung mit dem am Kreuz erhöhten und auferstandenen Jesus eine andere Qualität bekommen hat. Mit der weiteren Erläuterung des Evangelisten: "Rühre mich nicht an..." will er zeigen, dass Maria keinen anderen Zugang zu Jesus hat als der später lebende Evangelist mit seinen Mitchristen: Jesus ist nicht begreifbar, nicht demonstrierbar. Man kann ihn nicht festhalten, aber man kann antworten: "Rabbuni - lieber Meister!" Und diese Antwort zeigt, dass das Leben bei mir angekommen ist, das Leben, um dessentwillen Gott Jesus von Nazareth gesandt hat.
Die zweite erläuternde Ausarbeitung findet sich in der Thomasgeschichte aus der Tradition. Auch hier geht es dem Evangelisten wieder darum, dass seine Mitchristen die Ausnahmesituation, dass Thomas die Wundmale Jesu anfassen darf, nicht als Vorzug, sondern nur als Demonstration für einen Ungläubigen ansehen sollen. Das Größere ist anders als das Anfassen: "Weil du mich gesehen hast, hast du geglaubt. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben."
An diesen beiden kleinen, aber doch wichtigen Einfügungen des Evangelisten in traditionelle Ostergeschichten sehen wir, mit welchen Fragen, Hoffnungen und Wünschen seine Mitchristen umgegangen sind: Jesus sehen wollen, ihn anfassen und festhalten wollen. Seine Antwort vom Geiste Jesu her: Lass dich anreden vom Leben und antworte auf diese Anrede im Glauben.
Es gibt wahrscheinlich noch eine dritte Bearbeitung einer traditionellen Ostergeschichte durch den Evangelisten. Ich formuliere so vorsichtig, weil die meisten Forscher am Neuen Testament Joh 21 als Nachtrag durch einen anderen als den Evangelisten ansehen. Ich denke nicht so und sehe auch in Joh 21 den Evangelisten am Werk. In Joh 21,15-17, eine traditionelle Geschichte von der Ankündigung des Martyriums für Petrus, hat wohl der Evangelist das kleine Zwiegespräch zwischen Jesus und Petrus eingearbeitet. In ihm wird nicht nur das Versagen des Petrus vor der Kreuzigung sichtbar, sondern - und darauf kommt es dem Evangelisten besonders im Blick auf seine Mitchristen an - die Beauftragung des Petrus ist das Wesentliche: "Weide meine Schafe!" Diese Beauftragung bedeutet, das weitere Leben in Verantwortung weiter zu gestalten. Jesu Worte sind gegen die Suche nach dem Martyrium gerichtet. Für dieses Streben nach dem Martyrium scheint Petrus besonders anfällig gewesen zu sein. Dazu das Beispiel: Petrus spricht zu Jesus: "Herr, warum kann ich dir diesmal nicht folgen? Ich will mein Leben für dich lassen!" - 13,37.
Drei kleine Bearbeitungen von traditionellen Ostergeschichten durch den Evangelisten - drei Begegnungen - drei Kurzpredigten für Mitchristen des Evangelisten, in denen ihre Probleme zur Sprache und Lösung kommen.
alles umfassend
Aus der Literatur
J. Blank: Das Evangelium nach Johannes Bd. 2 S. 247
"Das Christentum hat sich mit den herrschenden Mächten verbündet, und seine Vertreter, bis hin zu den Päpsten, haben im Lauf der Geschichte blutbefleckte Hände bekommen. Das macht es heute schwer, unbefangen vom <Sieg des Glaubens> zu sprechen. Wahr wird solche Rede in der Tat nur bezogen auf den <Anführer des Glaubens>, Jesus. Nur er hat gesiegt - und zwar als Opfer der religiösen und politischen Mächte."
Thomas-Kantate http://www.evangelium-johannes.de/Thomaskantate