A. Faure hat vor nahezu 80 Jahren in dieser Zeitschrift1 einen Artikel über die Quellenscheidung im Johannesevangelium geschrieben, der bis heute einen nicht zu überschätzenden Anstoß für die Forschung am Johannesevangelium gegeben hat. Nach ihm hat R. Bultmann die von Faure behauptete „selbständige schriftstellerische Einheit“ als Semeiaquelle aufgenommen.2
Für Faure3 bilden die Verse Joh 12,37 und 20,30f einen wirksamen Abschluss von einer selbständigen schriftstellerischen Einheit. Er meinte nämlich4, dass Joh 12,41 auf das erste Zitat in 12,37 aus Jes 53,1 zurücksehe, nicht aber auf das zweite. Das zweite Zitat aus Jes 6,9f stamme von einer anderen Hand als das erste.
Diese Vermutung konnte nicht bestätigt werden, nachdem man im Targum zu Jes 6,5 gesehen hat, dass die von Jesaja gesehene Herrlichkeit, auf die Joh 12,41 anspielt, aus Jes 6 abgeleitet werden muss. Die Frage nach Herkunft und Zusammengehörigkeit der beiden alttestamentlichen Zitate in Joh 12,37-41 war also erneut offen.
Viele Forscher rechnen seitdem mit dieser „selbständigen schriftstellerischen Einheit“, der Semeia-Quelle, auch wenn sie diese in ihrem Umfang unterschiedlich bestimmen. Auch die Frage, ob jene Quelle beide Zitate von Joh 12,37ff angeführt hat oder nur eines von beiden, ist weiterhin offen. Neben denen, die mit einer Semeia-Quelle rechnen, gibt es eine Reihe von Forschern, die die Existenz einer solchen Quelle bestreiten.5 Je nachdem, wie diese Quelle - mit deren Existenz ich trotz der Einwände fest rechne - für Joh 12,37-41 ausgesehen hat, könnte die Überschrift über diesen Artikel auch lauten:
„Wie die Semeiaquelle und der Evangelist Johannes gemäß Joh 12,37ff Jesaja 6 gelesen haben.“
In Joh 12,39-41 wird aus Jes 6,10 zitiert.6 Sowohl die Form des Zitats als auch das Verhältnis zum vorhergehenden Zitat aus Jes 53,1 sind von der Forschung intensiv diskutiert worden.7 Ich will nur einige Schwerpunkte der Diskussion kurz insoweit aufzeigen, als sie für die Frage „Wie Johannes gemäß Joh 12,37ff Jes 6 gelesen hat“ relevant sind.