Joh 4,19-26 zu dieser Hinführung sollte man die zu 4,5-14 lesen.
Ein Menschheitsproblem
In dem kleinen Abschnitt ist eine ungeheure Spannung enthalten: Zwischen einer einzelnen Frau mit ihrem Lebens- und Glaubensproblem und Jesus, der sich mit diesem Lebens- und Glaubensproblem befasst, aber so befasst, dass seine Antwort ein bedrückendes religiöses Menschheitsproblem anspricht, das Weltreligionen und Weltpolitik bis zum heutigen Tag in hohem Maße bestimmt:
Wo ist der rechte Ort der Anbetung und in wessen Besitz ist er?
Der Vater als Ort der Anbetung
Da stehen Traditionen gegeneinander und Autoritäten. Die Frau meint, dass Jesus zur anderen Seite gehört – „ihr sagt...“ (4,20). Aber aus ihrem bisherigen Gespräch mit Jesus traut sie ihm auch zu, sich auf ihre Seite zu stellen: als Prophet (4,19) ist man keiner der beiden Seiten verpflichtet, nur Gott. Wenn sie von Jesus eine Entscheidung erwartet, zeigt sie eine Unsicherheit in ihrer eigenen Haltung und auch ihres eigenen Volkes, das nach Dtn 18,15ff eine Nachfolgegestalt des Mose erwartet, die strittige Religionsfragen klären wird, den „Taheb“. Jesus nimmt die Hoffnung der Frau auf, wenn er sagt, dass die Stunde kommen wird, die Stunde der Klärung, aber er zeigt eine neue und von beiden Seiten unerwartete Möglichkeit auf und spricht einigend von der Anbetung des „Vaters“ – des Vaters der Samaritaner und der Juden.
Im Vater ist der Ort der Anbetung gegeben, den man nicht geographisch festlegen kann.
Man versteht die Hintergründigkeit der Worte Jesu in 4,21 meiner Meinung nach nicht, wenn man sie so auslegt: Ihr Samaritaner werdet weder auf diesem Berg noch in Jerusalem den Vater anbeten. Ihr Samaritaner betet an, was ihr nicht wisst, aber wir Juden wissen es! Ich meine, dass Jesus die Anbeter auf dem Berge Garizim und in Jerusalem mit denen meint, die nicht wissen, was sie anbeten.
Der Vater lädt jetzt durch seinen Gesandten zur Anbetung ein
Joh 5,37f wirft Jesus jüdischen Zuhörern, die ihn töten wollen, vor: „Und der Vater, der mich gesandt hat, der hat von mir gezeugt. Ihr habt niemals weder seine Stimme gehört noch seine Gestalt gesehen und sein Wort habt ihr nicht in euch wohnen, denn ihr glaubt dem nicht, den er gesandt hat.“ Und Joh 8,54f heißt es: „Es ist aber mein Vater, der mich ehrt, von welchem ihr sprecht: Er ist unser Gott, und kennt ihn nicht...“. Jesus versteht die als die wahren Anbeter, die den sowohl Juden als auch Samaritanern im Juda-Segen (Gen 49,8-12 vgl. Joh 4,22) verheißenen Messias anbeten – und in ihm den Vater, und zwar im Geist und in der Wahrheit. Geist und Wahrheit (4,24) gehen aber von Jesus aus. Und die Zeit, in der diese Anbetung geschieht, ist nicht mehr – wie noch in Joh 4,21 – zukünftig, sondern sie ist da in Jesus.
Begegnung jetzt! –
oder:
in eine unbestimmte Zukunft ausweichen?
Die Frau kennt diese Juda-Verheißung, wie alle Samaritaner, die ja die Fünf Bücher Mose anerkennen, aber sie redet weiter von dem Messias als einem Zukünftigen, als hätte sie Jesu Worte nicht gehört. Jesus aber ruft sie ins Jetzt der Entscheidung mit seinen Worten: „Ich bin’s, der mit dir jetzt redet.“
Die samaritanische Frau – und wir mit ihr – begegnen in Joh 4 einer Christologie, die nicht auf der Basis der Kreuzigung entstanden ist, sondern auf der Basis der Begegnung und des prophetischen Redens.
Am Ende der Samaria-Geschichte steht ein Bekenntnis vieler.
Predigt
Wie kann man in der Predigt mit diesem eschatologisch und christologisch bis zum Bersten gefüllten Text umgehen?
Es geht nur im Bedenken der je eigenen Lebenssituation, des eigenen Versagens, der eigenen Wünsche und der Abgrenzungen von anderen. Es geht nur in der Erfahrung, dass Gott in Christus zu mir spricht und mich zu echter Anbetung führen will. Die Geschichte der Frau geht nach 4,26ff – gewendet und verkündigend, weiter und auch meine Geschichte kann so weiter gehen.
Predigt zu Joh 4,46-54
(Predigt am 3. Sonntag nach Epiphanias 1993 in Kairlindach bei Erlangen)
Liebe Gemeinde,
es kommt selten vor, dass alle vier Evangelien dieselbe Geschichte bringen. Bei unserem heutigen Evangelium von der Heilung eines jungen Mannes aus Kapernaum ist das jedoch der Fall. Aber obwohl dieselbe Geschichte viermal in den vier Evangelien vorhanden ist, hört sie sich doch viermal verschieden an. Manches fehlt in der einen Geschichte, manches ist anders beschrieben. Einzelheiten passen nicht zu dem, was im anderen Evangelium berichtet ist. Was das heißt? Es heisst, dass vier verschiedene Gemeinden in der Urchristenheit in jeweils eigener Weise über die Geschichte nachgedacht haben und man noch in den vier kleinen schriftlichen Berichten ihr eigenes Interesse sehen kann, das, worauf jede der vier Gemeinden ihren besonderen Wert gelegt hat. Wer von Ihnen es will, kann das zu Hause einmal vergleichen. Ich weiß, dass bei uns hier in dieser Kirche das Wort aus dieser Geschichte vom Hauptmann von Kapernaum - ein bisschen abgewandelt - besonders gern genannt wird: "Herr, ich bin nicht würdig, dass du unter mein Dach eingehst. Aber sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund." Wenn Sie sich nun die Geschichte aus dem Johannesevangelium anhören, so werden Sie dieses Wort vermissen, das nur bei Lukas und Matthäus steht. Sie werden aber ein anderes Wort hören, das nur Johannes anführt und das für unser Leben besonders wichtig ist.
Verlesung des Evangeliums
Da ist die geliebte alte Geschichte vom Hauptmann von Kapernaum, die Geschichte, die sich überall in der Welt tausende Male abgespielt hat: Vom Vater und seinem todkranken Kind, von der Mutter und ihrem im Sterben liegenden Kind - und von dem Einsatz der Eltern, die alles versuchen, damit das Kind am Leben bleibt - wie das hier in der Geschichte um Jesus dann eintritt: "Siehe, dein Sohn lebt! - so kann Jesus dem bittenden Vater sagen. Aber: das war doch viele tausende von Malen nicht der Fall. Eltern, die für ihr Kind vor Gott und mit den Menschen gerungen haben, konnten nicht hören: Siehe, dein Sohn lebt! sondern mussten feststellen: Unser Kind ist tot.
Ich habe in meinen Jahren in der Thomasgemeinde in Erlangen manches Kind frommer Eltern und manches fromme Kind beerdigen müssen.
Und ich denke, gerade das ist das Problem jener Gemeinde des Evangelisten Johannes gewesen: Dass in ihr die Geschichte von Jesus, von jenem königlichen Soldaten und dessen Kind erzählt wurde - und dass doch gleichzeitig Kinder von gläubigen Christen gestorben sind und das Wunder nicht geschah. So geht es eben zu in unserer Welt: Da steht neben der Schlagzeile "wie durch ein Wunder wurden neun Personen der gekenterten polnischen Fähre gerettet" - die schwere Nachricht: "53 Personen kamen bei dem Fährunglück ums Leben" - kein Wunder geschah für sie.
Irgendwann ist der Evangelist Johannes einmal mit Christen zusammen gekommen, die die Wunder, die Jesus getan hat, besonders interessiert hat. Wir wissen nur wenig über sie, aber sie scheinen sich darauf eingerichtet zu haben, dass der Prophet Elia, der knapp 1000 Jahre vor Christus gelebt hat, vor dem Ende der Welt wiederkommen würde. Von diesem Elia hatte man eine Reihe Wunder erzählt - auch, wie er einmal einer Witwe ihren gerade verstorbenen Sohn mit den Worten wiedergegeben hatte: "Siehe, dein Sohn lebt!" Als nun Jesus einigen Menschen wunderbar geholfen hatte, auch dem Sohn eines königlichen Soldaten aus Kapernaum, da hat diese christliche Gruppe in Jesus den von ihnen erwarteten Elia gesehen und alle Wunder gesammelt, derer sie habhaft werden konnte - darunter wohl auch einige, die Jesus nachträglich angedichtet wurden. Als der Evangelist Johannes mit dieser Gruppe zusammenkam und von ihnen ein kleines Wunderevangelium erhielt, war er froh über Mitchristen in einer den Christen so feindlichen Welt, aber zur selben Zeit war Johannes wohl auch bestürzt, denn: Wenn man alle Wunder auf Jesus häufte, dann wurde ja der Jesus unsichtbar, den Johannes kennengelernt hatte: Der Jesus mit den guten Lebensworten wurde unsichtbar. Jesus hatte dem Petrus einmal in sehr kritischer Zeit, als viele ihn verlassen hatten die Frage gestellt, ob Petrus und andere Jünger Jesus auch verlassen wollten. Da hatte Petrus für sie stellvertretend geantwortet: "Herr, wohin sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens." Weil Jesus Worte des ewigen Lebens hat, die auch dann nicht ungültig werden, wenn ein geliebter Mensch trotz größten Einsatzes von Gebet und Tat stirbt - weil Worte des ewigen Lebens für Johannes das wichtigste waren, was er von Jesus kennengelernt hatte, hat er in unsere schöne kleine Wundergeschichte vom Hauptmann von Kapernaum mit seinem Kind ein Wort Jesu eingeschoben, das der irgendwann einmal gesprochen hatte und das in allen Zeiten von Christen so leicht überhört werden kann. Und so lesen wir nun als ganz wichtige Aussage Jesu und des Evangelisten in seiner Gemeinde, in der Kinder eben trotz Gebet sterben: "Wenn ihr nicht Zeichen und Wunder seht, glaubt ihr nicht." Die anderen drei Evangelien berichten dieses wichtige Wort Jesu nicht - "Wenn ihr nicht Zeichen und Wunder seht, glaubt ihr nicht."
Was bedeutet dieses Wort? Es heißt doch, dass wir Christen sein können ohne Wunder erlebt zu haben, dass wir Christen sein und bleiben können auch wenn unser im Sterben liegendes Kind oder der Ehemann oder die Ehefrau oder der beste Freund trotz aller Bitten stirbt. "Wenn ihr nicht Zeichen und Wunder seht, glaubt ihr nicht." Das bedeutet, dass Jesus ohne Wunder Glauben suchen kann bei uns, dass wir Christen von Gott keinerlei Privilegien zu erwarten haben, keine bevorzugte Behandlung, keinen Sonderschutzengel. Was wir aber von Gott durch Christus erwarten dürfen, das sind "Worte des ewigen Lebens". Worte, die uns ansprechen, wenn wir für nichts sonst in der Welt ansprechbar sind, Worte, die uns bis ins Innerste berühren und uns zum nächsten Schritt ermutigen. Solches Christsein ist nicht leicht, aber es geht auch nicht so leicht kaputt wie ein Wunderglaube.
Wir erleben es in unserer Zeit wieder, dass sich Menschen, die das Besondere erwarten wie jene Elia-Wunder erwartenden Christen - wir erleben, dass sich Menschen heute zusammentun, kleine Gemeinschaften bilden. Sie sammeln Wundergeschichten wie damals, möchten das Wunder durch Handauflegung und besondere Frömmigkeit herbeizwingen. Das, was dann wie Erfolg aussieht, wird von ihnen herausgestrichen - das,was sich nicht an Heilung ereignet, wird als Folge mangelnden Glaubens abgewertet. Natürlich geschehen Wunder, geschieht Heilung durch Menschen und durch Gott, aber wir haben keinerlei Anspruch darauf. Gott will diese unsere Welt nicht zu einer Wunderwelt umgestalten, sondern er will, dass wir unseren oft so schweren und so unverständlichen Alltag mit Hilfe seines Zuspruches bestehen.
Ich las dieser Tage eine kleine Geschichte eines frommen Juden. Als er einmal betete, unterbrach er das Gebet und sprach: "Gott, ich will nicht dein Paradies, ich will nicht deine kommende Welt, ich will nur dich allein." Er verzichtet also auf jegliche Sonderbehandlung, malt sich weder das Paradies aus noch die kommende Welt des Reiches Gottes, wünscht sich nicht, beides kennenzulernen. Er verzichtet auf all das Wunderbare, das für manchen Gläubigen eine so große Rolle spielt. Aber eins erbittet er inständig: Ich will nur dich allein!
So ähnlich hatte der Beter des 73. Psalmes gebetet: "Herr, wenn ich nur dich habe, so frage ich nichts nach Himmel und Erde." Es gab und gibt Menschen, zu denen Jesus nicht hätte sagen müssen: "Wenn ihr nicht Zeichen und Wunder seht, glaubt ihr nicht." Aber es ist so schwer, das zu lernen. Es ist viel leichter, wundergläubig zu sein und ähnlich wie Thomas zu Ostern zu sprechen: "Wenn ich nicht in seinen Händen sehe die Nägelmale und lege meine Hand in seine Seite, kann ichs nicht glauben" : dass Jesus lebt trotz der Kreuzigung. Es ist viel leichter, an den auferstandenen Jesus zu glauben, wenn man ihn lebend mit seinen Nägelmalen sieht und wenn man Wunder über Wunder sieht und sammelt. Aber die Seligpreisung wird anderen zugesprochen, wenn Jesus sagt: "Selig sind, die nicht sehen und doch glauben. Die Gemeinde des Johannes hat gelernt, ohne das Wunder auszukommen, aber die Worte des ewigen Lebens hat sie unbedingt gebraucht.
Wie wollen wir es halten?
Amen