Wie der Evangelist Johannes gemäß Joh 12,37ff Jesaja 6 gelesen hat

(ursprünglich in: ZNW 92. Bd., 2001, 33-46)
(ab 2010: Das Wort ward Fleisch. Gesammelte Aufsätze...)

Abstract

Der Evangelist Johannes legt Jes 6 so aus, dass der Prophet Jesaja einem Gespräch zwischen Gott und dem Messias zugehört hat. In diesem Gespräch erklärt der Messias seine Bereitschaft, sich von Gott senden zu lassen. Die ‚Herrlichkeit’ Jesu war dem Propheten Jesaja sichtbar. Viele Aussagen des Johannesevangeliums und „johanneische Sprache“ gehen auf dieses Verständnis von Jes 6 zurück.

I Einleitung

A. Faure hat vor nahezu 80 Jahren in dieser Zeitschrift1 einen Artikel über die Quellenscheidung im Johannesevangelium geschrieben, der bis heute einen nicht zu überschätzenden Anstoß für die Forschung am Johannesevangelium gegeben hat. Nach ihm hat R. Bultmann die von Faure behauptete „selbständige schriftstellerische Einheit“ als Semeiaquelle aufgenommen.2

Für Faure3 bilden die Verse Joh 12,37 und 20,30f einen wirksamen Abschluss von einer selbständigen schriftstellerischen Einheit. Er meinte nämlich4, dass Joh 12,41 auf das erste Zitat in 12,37 aus Jes 53,1 zurücksehe, nicht aber auf das zweite. Das zweite Zitat aus Jes 6,9f stamme von einer anderen Hand als das erste.

Diese Vermutung konnte nicht bestätigt werden, nachdem man im Targum zu Jes 6,5 gesehen hat, dass die von Jesaja gesehene Herrlichkeit, auf die Joh 12,41 anspielt, aus Jes 6 abgeleitet werden muss. Die Frage nach Herkunft und Zusammengehörigkeit der beiden alttestamentlichen Zitate in Joh 12,37-41 war also erneut offen.

Viele Forscher rechnen seitdem mit dieser „selbständigen schriftstellerischen Einheit“, der Semeia-Quelle, auch wenn sie diese in ihrem Umfang unterschiedlich bestimmen. Auch die Frage, ob jene Quelle beide Zitate von Joh 12,37ff angeführt hat oder nur eines von beiden, ist weiterhin offen. Neben denen, die mit einer Semeia-Quelle rechnen, gibt es eine Reihe von Forschern, die die Existenz einer solchen Quelle bestreiten.5 Je nachdem, wie diese Quelle - mit deren Existenz ich trotz der Einwände fest rechne - für Joh 12,37-41 ausgesehen hat, könnte die Überschrift über diesen Artikel auch lauten:

„Wie die Semeiaquelle und der Evangelist Johannes gemäss Joh 12,37ff Jesaja 6 gelesen haben.“

In Joh 12,39-41 wird aus Jes 6,10 zitiert.6 Sowohl die Form des Zitats als auch das Verhältnis zum vorhergehenden Zitat aus Jes 53,1 sind von der Forschung intensiv diskutiert worden.7 Ich will nur einige Schwerpunkte der Diskussion kurz insoweit aufzeigen, als sie für die Frage „Wie Johannes gemäss Joh 12,37ff Jes 6 gelesen hat“ relevant sind.

1. Die Textform von Jes 6,10 in Joh 12,40:

Weder unvokalisierter hebräischer Text, weder Masoretischer Text noch Targum oder LXX sind je für sich allein Grundlage für den bei Johannes vorhandenen Text. Dieser geht aber z.T. - in den Aussagen „er (sc Gott) hat verblendet“ und „er (Gott) hat verstockt“ - auf den unvokalisierten hebräischen Text zurück, weist in der Aussage von 12,41, dass Jesaja nicht Gott, sondern „nur“ die Herrlichkeit Gottes gesehen hat, auf den Targum hin, gemäss dem Jesaja die Herrlichkeit Gottes sah und die Stimme der Memra Gottes hörte,8 und ist in den letzten Worten des Jesajazitates - „und ich sie heilte“ - eine wörtliche Wiedergabe der LXX. Dazu kommt, dass Johannes Jes 6,9f in markant verkürzter Form wiedergibt, so dass die Worte, die sich auf das Hören und Nicht-Verstehen beziehen, in 12,40 ausgelassen sind. Ich werde noch darauf zu sprechen kommen, dass Johannes sie jedoch nicht unterschlagen hat.

Einige Forscher sehen in diesem Textzustand Tradition vor Johannes am Werk, andere führen das Zitat aus Jes 6,10 und das vorhergehende aus Jes 53,1 auf den Evangelisten zurück. Wieder andere bringen Jes 53,1 mit der Semeiaquelle in Verbindung, Jes 6,10 jedoch mit dem Evangelisten. Ich selber sehe die beiden Zitate - Jes 6,9f in ungekürzter Form - als zum Ende der Zeichenquelle bzw. eines Wunderevangeliums gehörig. Eine Begründung folgt später. Und: Für die Verkürzung von Jes 6,9f wird Johannes aus theologischen Gründen verantwortlich sein, auf die ich noch zu sprechen komme.

2. Die Offenheit des hebräischen Textes auf unterschiedliche Interpretation hin

Der hebräische Text von Jes 6 hat sich aus folgenden Gründen für Juden und christliche Juden für unterschiedliche Interpretationen angeboten:

a) Der Bezug auf Gott wird mit verschiedenen Namen ausgedrückt. Die LXX löst das Problem einfach, indem sie in V.1-11 immer (gr.) kyrios gebraucht. Nachdem jedoch in den Zeiten der notwendigen targumischen Bearbeitung des hebräischen Textes anthropomorphe Beschreibung Gottes abgelehnt wurde, konnte man neu interpretieren und die dem Menschen zugewandte Seite Gottes „Herrlichkeit Gottes“ nennen (TG zu Jes 6,1) oder „Herrlichkeit der Schechina der Welten“ (Stenning übersetzt: „...for the glory of the Shekinah of the King of ages, the Lord of hosts, have mine eyes seen.“) - und die Jenseitigkeit der anderen Seite Gottes blieb gewahrt.

b) Auch die LXX lässt Überlegungen gegen die anthropomorphe Beschreibung Gottes erkennen, indem sie in Jes 6,1 nicht vom „Gewandsaum“ Gottes, sondern von der „Herrlichkeit des Herrn“ spricht, die den Raum erfüllt. Der TG spricht nach der Übersetzung von B. Chilton an dieser Stelle: „And the temple was filled by the brilliance of his glory.“ TG und LXX haben gemeinsam, dass sie den Begriff der „Herrlichkeit“ in ihre Betrachtung von Jes 6 einführen - eine Auslegungsweise, die auch Johannes (aus der Semeia-Quelle?) aufgenommen und in 12,41 auf Jesus bezogen hat: (gr.)tauta eipen Esaias hoti eiden taen doxan autou (kai elalaesen peri autou)

c) Dadurch ergibt sich im Hinblick auf Joh 12,41 folgende Frage: Was alles hat Jesaja von „ihm“ (für Johannes = „Jesus“) „geredet“ und mit welchen Worten? Betrifft das Reden von „ihm“ nur die „Herrlichkeit“ von Jes 6,1-5 oder ist von „ihm“ auch in den weiteren Versen von Jes 6 die Rede? Hat Johannes auch das Wort „König“ in Jes 6,5 auf Jesus bezogen, vgl z.B. Joh 18,36f? - Gott selbst wird ja im Johannesevangelium nie „König“ genannt.

d) Offen war der hebräische Text von Jes 6 auch bei der Vokalisierung von V.10. Muss ich lesen: „Er hat verblendet“ und „er hat verstockt“ und somit diese Aktion auf Gott beziehen als eine in der Gegenwart des Propheten schon abgeschlossene oder ist das die bevorstehende Aufgabe des Propheten und ich muss vokalisieren: „Verblende!“ und „Verstocke!“? Oder betrifft die ganze Vision überhaupt eine ferne Zukunft, in der der Messias da ist?

e) Offen ist Jes 6 gleichfalls für die Frage, ob Heilung absolut unmöglich ist oder als eigentliches Ziel vor der möglicherweise notwendigen Verstockung zu sehen ist.

f) Auch der Text der LXX in Jes 6,8 (gr.) idou eimi ego, - konnte zu Überlegungen über den Zusammenhang mit dem (gr.) ego eimi des Deuterojesaja einladen. Ob Johannes so überlegt hat, dass der Gesandte aus Jes 6,8 der (gr.)ego eimi von Dtjes ist, ist also eine weitere Möglichkeit.9

Ohne alle Möglichkeiten verschiedener Interpretationen von Jes 6 aufzeigen zu wollen und zu können, wollte ich doch den Reichtum der Interpretationsmöglichkeiten ansprechen und so Johannes oder den ihm durch andere bekannten Jesajatext in diese Auslegungstradition einreihen und auch zeigen, dass seine Interpretation von jüdischen Gesprächspartnern und Schriftgelehrten ernst genommen werden musste, weil sie im Bereich jüdischer Interpretationsmöglichkeiten lag.

II Wie Johannes Jes 6 gelesen hat - Thesen und ihre Begründung

1. Meine eigene These zu Jes 6,8a:

In bisheriger Forschung ist Jes 6,9f im Hinblick auf die Verwendung im Johev weitgehend isoliert betrachtet worden. Nur Jes 6,1 und 6,5 sind, von TG und LXX her beleuchtet, hinzugezogen worden. Ich möchte folgende neue These aufstellen, die dann zu einer neuen Betrachtung des gesamten Kapitels Jes 6 in johanneischer bzw. vorjohanneischer Sicht führt und - wenn sie kritischer Forschung standhält und von ihr ergänzt und untermauert werden kann - die Auslegung des gesamten Johannesevangeliums betrifft:

a) Johannes hat Jes 6,8 als Gespräch zwischen Gott und dem präexistenten Jesus10 verstanden, das Jesaja gehört und überliefert hat. Der entsprechende Text würde lauten:

 Und ich (nämlich Jesaja) hörte die Stimme Adonajs sprechen:„Wen soll ich senden und wer geht für uns hin?“

Er (nämlich Jesus) aber sprach: „Hier bin ich, sende mich!“ Johannes hat also nach meiner These (hebr.) wajomer gelesen statt (hebr.) weamar
b) Johannes - bzw die vorjohanneische Tradition - hat Jes 6 nicht als Berufung Jesajas zum Propheten verstanden11, sondern als Berufung Jesajas zum Zeugen für das Gespräch zwischen Gott und Jesus12.

c) Die Gesandten-Christologie des Johev hat ihren Urgrund in diesem Gespräch und bildet im Zusammenhang mit der Gesamtsicht von Jes 6 durch Johannes eine der wesentlichen Quellen für die spezifisch johanneische Sprechweise13.

2. Begründung dieser These:

a) Jesaja hat nach dem Wortlaut des Zitates Jes 6,10 bei Johannes keine eigentliche Aufgabe: Verstockung ist durch Gott schon geschehen und Heilung wäre die Sache Jesu. Die gesamte Bedeutung des Propheten besteht darin, das Erlebte und Gehörte als Gereinigter zu überleben und der Generation, die den Gesandten Gottes bei sich haben wird, vom Gericht zu berichten. Wenn Jesaja also nicht zu verstocken hat und nicht zu heilen, ist er auch nicht der Gesandte, sondern nur wichtiger Zeuge. Die Aufgabe des Gesandten dagegen14 ist es, Glauben zu ermöglichen, aber auch die Verstockung der Verstockten zu benennen, zu ertragen und zu erleiden15, indem er sie nicht heilen kann. Blinde dagegen, die zum Glauben kommen, - Joh  9,1ff - kann der Gesandte (gr.) apestalmenos als Licht der Welt16 heilen - Verblendete, die Wunder miterlebt haben, ohne zu glauben, jedoch nicht - Joh 9,39-41.

b) Johannes hat ein besonderes Interesse am Gespräch zwischen Gott und Jesus: Gen 28,12 versteht er in Joh 1,51 so, dass die Engel Gottes nicht auf den Stein, sondern auf den Menschensohn - (hebr.)bo herabsteigen17. Jakob ist nur träumender Zeuge18.

Auch das Interesse des Mose ist - wie das des Jesaja in johanneischer Sicht - auf Jesus konzentriert: Joh 5,46 - „er hat von mir geschrieben“. Wie in Bezug auf Mose in Joh 5,46f, so hätte in Bezug auf Jesaja Jesus sagen können: „Wenn ihr Jesaja glaubtet, so glaubtet ihr auch mir; denn er hat von mir geschrieben/geredet, als Gott mit mir, seinem Sohn, gesprochen hat. Wenn ihr aber seiner Schrift nicht glaubt, wie werdet ihr meinen Zeichen und Worten glauben?“

Joh 17 zeigt das besondere Verhältnis des Sohnes zum Vater im Gebet und spricht von der Herrlichkeit Jesu in 17,24.

Joh 12,27-31 zeigt das Gespräch zwischen Sohn und Vater, wobei Gottes Worte vom Volk missverstanden werden als Donner oder das Reden eines Engels. Gerade dieses Gespräch ist besonders interessant, weil der „Donner“ in Joh 12,29 auf dem Hintergrund der Gottesbegegnungen in Ex 20,18 und Jes 6,4 ((hebr Qal von nawa) gesehen werden kann und in den folgenden Versen die Verherrlichung des Königs von Joh 12,13.15 angesprochen wird, die gleichzeitig für die, die nicht glauben und den Fürsten dieser Welt Gericht bedeutet, welches in 12,37ff unter Hinweis auf Jes 6,10 auf Gott zurückgeführt wird. Jes 6 könnte also umfassender im Hintergrund von Joh 12 gesehen werden, als es das Zitat aus Jes 6,9f vermuten lässt19.

Abraham - Joh 8,56 -, Jakob, Mose und Jesaja bezeugen das besondere Verhältnis zwischen Gott und seinem Sohn. Wir können zu diesen Personen sicher nach Ps 2 und Ps 110 - vom Hebräerbrief auf Jesus ausgedeutet - auch David hinzuzählen, denn das Vater-Sohn-Verhältnis bei Johannes ist wahrscheinlich auch im Hinblick auf das Gespräch Gottes in diesen beiden Psalmen gestaltet: „Er hat zu mir gesagt: Du bist mein Sohn...“ und „Der Herr sprach zu meinem Herren: Setze dich zu meiner Rechten...“20.

c) Wenn das Johannesevangelium Jesus wiederholt als den Präexistenten versteht und Johannes mit diesem Verständnis Jes 6 liest, wäre es unverständlich, wenn sich auf die Frage Gottes, wen er senden solle, Jesaja angeboten hätte und nicht der präexistente Jesus, der nach Johannes vom Sein beim Vater und immer wieder von seinem Gesandt-worden-sein spricht. Es ist Jesus als der Gesandte, der Verstockung erfährt und der doch zugleich die Zeit des Hörens eröffnet, die auch nach Abschluss der Wundertätigkeit in den von Jesus Gesandten weitergeht. Wegen dieser auch weiterhin gegebenen Möglichkeit des Hörens - so denke ich - ist auch bei Johannes und durch ihn das Wort aus Jes 6,9 in Joh 12,40 bewusst ausgelassen: „Hört und versteht’s nicht“ und „...dass sie nicht hören mit ihren Ohren“. Dieser Teil des Gerichtes vollzieht sich jeweils neu vor neuen Hörern - oder das Gericht findet nicht statt, denn wer glaubt, hat kein Gericht mehr zu erwarten21.

d) Wie ich gezeigt habe22, hat Johannes an drei weiteren Stellen das AT auf Grund des hebräischen Textes abweichend von der bei den Masoreten vorfindlichen Vokalisierung verstanden: Gen 28,12 in Joh 1,51, Ex 16,15 in Joh 6,32 und Jes 6,10 in Joh 12,40. Das besondere Verständnis von Jes 6,8 als auf Jesus als Antwortenden bezogen, wäre von Johannes, bzw. seiner Tradition dann auch auf Grund eines hebräischen Textes gesehen worden23.

e) Haackers Schwierigkeit mit der Herkunft des Gesandten-Begriffes24 wird durch das neue Verständnis von Jes 6,8 aufgehoben: Die Darstellung Jesu als des von Gott Gesandten hat seine Wurzel im johanneischen Verständnis von Jes  6,8.

f) Ich habe in meinem Artikel „Vom Hebräerbrief zum Johannesevangelium“25 die Vermutung ausgesprochen, dass der von Johannes auf Jesus bezogene LXX Ps 39,8 - „Da sprach ich: Siehe, ich komme ((gr.) haeko vgl Joh 8,4226), in der Schrift ist von mir geschrieben“ - mit dieser Schrift insbesondere Jes 6 gemeint haben wird: Nach der in Jes 6,8 grundsätzlich ausgesprochenen Bereitschaft, sich von Gott senden zu lassen, folgen für Johannes gemäss dem Psalm genauere Ausführungen über diese Mission. Die Sendung beinhaltet die Beendigung des von Gott nicht gewollten Opferwesens im Tempel in Erfüllung des Willens Gottes unter Hingabe des eigenen (gr.) soma durch Jesus. Die Ablehnung Jesu durch die Verstockten bedeutet für ihn den Tod am Kreuz - insofern aber auch die in Jes 6,10 angesprochene mögliche Heilung: „Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben. Denn Gott hat seinen Sohn nicht gesandt (Jes 6,8!) in die Welt, dass er die Welt richte, sondern dass die Welt durch ihn gerettet werde.“

III Wie der Evangelist Johannes das 6. Kapitel des Propheten Jesaja wahrscheinlich gelesen hat - Der paraphrasierte Text 27:

1 In dem Jahr, als der König Usia starb, sah ich, Jesaja, den Sohn Gottes sitzen auf einem hohen und erhabenen Thron und seine Herrlichkeit28, die er von Gott her hat, füllte den Tempel.

2 Seraphim standen über ihm; ein jeder hatte sechs Flügel; mit zweien deckten sie ihr Antlitz, mit zweien deckten sie ihre Füße, und mit zweien flogen sie.

3 Und einer rief zum andern und sprach: „Heilig, heilig, heilig ist der Herr Zebaoth,“ - der Vater - „alle Lande sind seiner Ehre voll.“

4 Und die Schwellen bebten von der Stimme ihres Rufens, und das Haus ward voll Rauch.

5 Da sprach ich, Jesaja: „Weh mir, ich vergehe! Denn ich bin unreiner Lippen und wohne unter einem Volk von unreinen Lippen; denn ich habe den König des Jahwe Zebaoth gesehen mit meinen Augen.“

6 Da flog einer der Seraphim zu mir und hatte eine glühende Kohle in der Hand, die er mit der Zange vom Altar nahm,

7 und rührte meinen Mund an und sprach: „Siehe, hiermit sind deine Lippen berührt, dass deine Schuld von dir genommen werde und deine Sünde gesühnt sei.“

8 Und ich hörte die Stimme Gottes, des Vaters, wie er sprach (in der himmlischen Ratsversammlung29): „Wen soll ich senden? Wer will unser Bote sein?“ Er aber, der Sohn, sprach: Hier bin ich, sende mich!“

9 Und der Vater sprach: „Geh hin und sprich zu diesem Volk: „Höret und verstehet’s nicht; sehet und merket’s nicht!“

10 Also: „ER, der Vater, hat das Herz dieses Volkes verstockt“ und „ER hat ihre Ohren verhärtet und ihre Augen verblendet, auf dass sie nicht sehen mit ihren Augen noch hören mit ihren Ohren, noch mit ihrem Herzen verstehen und sich nicht bekehren und ich (der Sohn) sie heilte.

(11 Ich (der Sohn) aber sprach: „Vater, wie lange?“ „ER sprach: „Bis die Städte wüst werden, ohne Einwohner, und die Häuser ohne Menschen und das Feld ganz wüst daliegt.“

12 „Denn der Vater wird die Menschen weit wegtun, so dass das Land sehr verlassen sein wird.

13 Auch wenn nur der zehnte Teil darin bleibt, so wird es abermals verheert werden, doch wie bei einer Eiche und Linde, von denen beim Fällen noch ein Stumpf bleibt. Ein heiliger Same wird solch ein Stumpf sein.“)

IV Jesaja 6 und die Sprache des Johannes

a) Über die Herkunft der Sondersprache des Johannes wird bis heute viel gerätselt. Wenn sich auch die These vom gnostischen Einfluss auf die Sprache des Evangelisten bis heute hält30, ist sie doch durch die immer stärker werdende Erkenntnis vom großen Einfluss des AT auf Johannes immer schwächer geworden. Ich möchte die Schwäche der These durch diesen Artikel noch weiter offen legen, denn gerade der „Gesandte“ ist oft aus der Gnosis abgeleitet worden.

b) In dem vorhergehenden Abschnitt, „wie Johannes wahrscheinlich Jes 6 gelesen hat“, habe ich alttestamentliche Kernworte oder Primärworte durch Kursivschrift hervorgehoben.

a) Unter „Kernworten/Primärworten“ verstehe ich Worte, die Johannes für seine Sprechweise evtl. oder direkt aus Jes 6 übernommen hat. Sie tauchen z.T. auch in anderen von Johannes benutzten Texten des AT auf. Unter „Primärworten“ verstehe ich zentrale Worte der johanneischen Sprache, deren Herkunft mit (großer) Sicherheit auf eine bestimmte alttestamentliche Stelle zurückgeführt werden kann - also z.B. „senden“ aus Jes 631. Deswegen muss man von Fall zu Fall untersuchen, auf welchem spezifischen alttestamentlichen Hintergrund Johannes ein bestimmtes Wort (vgl. z.B. „König“ = Kernwort aus Jes 6,5 und Primärwort aus Ps 45 - vgl Joh 18,36f) gesehen hat. Manchmal kann man keine Entscheidung über die Herkunft herbeiführen, weil ein bestimmtes Wort gleichwertig aus verschiedenen alttestamentlichen Texten abgeleitet werden kann (vgl. z.B. „hören“ als zentrales Wort in Jes 6,9f und Ps 95,7).

Zu den Kernworten treten dann „abgeleitete Worte“, d.h. johanneische Worte, die in Jes 6 immanent enthalten sind, auch wenn sie dem Wortlaut nach nicht vorkommen, z.B. „Gericht/richten“ - vgl. z.B. Joh 10,39.

c) „Kernworte/Primärworte“ und „abgeleitete Worte“ werden dann von Johannes in „spezifischen Situationen“ angewendet, z.B. in der Situation einer Festrede im Tempel (vgl. Joh 7,14-18. 25-29), einer Gerichtsrede (vgl. Joh 12,27-50) oder eines Gebetes (Joh 17)32.

d) Mir ist klar geworden, dass Jes 6 für die Theologie und Sprache des Johannes ein Text allerersten Ranges ist: für die Darstellung Jesu als des Präexistenten, des Gesandten, der im Auftrage Gottes, und nicht aus sich selbst, redet und handelt33, der Menschen heilt und sie zur Erkenntnis der Herrlichkeit des Gesandten führt, dass sie auf diese Weise Gottes Ehre suchen. Die Ehre Gottes suchen - nicht die eigene - das ist johanneisches Zentralanliegen34. Menschen ziehen sich durch die Ablehnung des Gesandten im Suchen ihrer eigenen Ehre das Gericht zu. Der aus dem Bereich der himmlischen Herrlichkeit kommende und redende Gesandte (Jes 6 und LXX Ps 39), totale Zustimmung oder Ablehnung erfahrend, bietet Johannes die Möglichkeit, andere christologische Bezeichnungen mit ihrem je eigenen Schwerpunkt anzugliedern wie bei einem Kristallisationskern.

e) Man darf jedoch über die herausragende Bedeutung von Jes 6 für die johanneische Darstellung Jesu nicht reden, ohne dass gleichzeitig von LXX Ps 39 geredet wird35 (s. II,f). Jes 6 und LXX Ps 39 sind die zwei Seiten derselben Medaille: Betont Jesus immer wieder auf dem Hintergrund von Jes 6,8f, dass er nichts von sich selbst redet und tut, sondern darin total vom Vater bestimmt wird, der ihn gesandt hat und - so die eine Seite der Medaille - gesagt hatte „Geh hin und rede“, so steht auf der anderen Seite der Medaille LXX Ps 39,7ff: „Opfer und Gaben hast du nicht gewollt; einen Leib aber hast du mir bereitet. Brandopfer und Sündopfer gefallen dir nicht. Da sprach ich: Siehe, ich komme - im Buch steht von mir geschrieben -, dass ich tue, Gott, deinen Willen...“. Während Jesus an vielen Stellen im Johannesevangelium betont, dass er (gemäss Jes 6,8) nichts von sich selbst redet oder tut, setzt er gemäß LXX Ps 39,7ff/Joh 10,17f vgl Hebr 10,7ff von sich selbst sein Leben ein. Deswegen wird bei Johannes nicht nur von Präexistenz36 und Gesandtsein gesprochen, sondern vom Einsatz von (gr.)sarx, soma und psychae.
Zu Gottes Verherrlichen des Sohnes, der sich hat senden lassen, gehört dann die Rückkehr zum Vater und die Gabe des ewigen Lebens für die, die geglaubt haben, dass Gott Jesus gesandt hat. Wer von Jes 6 in johanneischem Verständnis redet, muss gleichzeitig von LXX Ps 39 reden und wer von diesem Psalm in johanneischem Verständnis spricht, muss gleichzeitig Jes 6 in den Blick bekommen, um die Grundlage der johanneischen Sondersprache zu erkennen, die in meditativer Auslegung alttestamentlicher Texte sich entwickelt - und nicht in der Gnosis wurzelt! Geistgewirkte Sprache des Johannes ist an das AT und die Tradition über Jesus gebundene Sprache.

V Noch einmal: Faure und Jes 6

Hat das zweite Zitat von Joh 12,37ff aus Jes 6 schon in der Semeiaquelle gestanden? Faure hatte nur Jes 53,1 zum Ende der Quelle gerechnet. Nach langer Zeit der Erforschung des alttestamentlichen Hintergrundes des Johannesevangeliums kann man jedoch etwas mehr sagen: Wir wissen, dass Johannes Zitate aus dem AT gewöhnlich gern aus der Tradition übernimmt und sie verarbeitet - nicht erarbeitet. Ps 45, Ps 95 und LXX Ps 39 - alle im Hebräerbrief angeführt - werden von Johannes verarbeitet. So könnten auch die beiden Zitate in 12,37ff aus der Tradition sein. Wir dürfen uns den Evangelisten nicht als Forscher vorstellen, der wie in einer Bibliothek den hebräischen Bibeltext, den aramäischen und den griechischen vor sich liegen hatte37. Eine verfolgte und arme christliche Gemeinde dürfte nur sehr schwer Zugang zu den heiligen Texten gehabt haben. Die Muttersprache des Evangelisten ist hebräisch/aramäisch. Griechisch hat er im späteren Leben genügend sicher, wenn auch nicht variationsreich, hinzugelernt. Die beiden Zitate bewegen sich jedoch im Bereich sprachlicher Mischform. Dazu aber kommt, dass Johannes niemals (gr.) noaesosin (vgl Jes 6,10: ! (hebr.) jabin" benutzt. Er liebt andere Wörter für dieselbe Sache. Auch die LXX (gr.) synosin wird an dieser Stelle nicht wiedergegeben. Das weist auf Herkunft aus der Tradition hin. Dazu kommt, dass in beiden Zitaten dieselbe Situation vorhanden ist: Das Gespräch zwischen Jesus und Gott. Weiter: Nach den sieben hermeneutischen Regeln, Hillel zugeschrieben, wird als 6. Regel aufgestellt, dass eine Stelle durch eine andere, die ihr ähnlich ist, erläutert wird. Auf Joh 12,37ff angewandt, wird Jes 53,1 durch Jes 6,10 erläutert: Der in Jes 53,1 beklagte fehlende Glaube, mit dem Menschen auf Jesus und Gott reagieren, wird Jes 6,10 erläutert: Auch Gott reagiert, nämlich auf die Menschen, die nicht glauben, indem er verstockt. Auch Jesus reagiert, aber im Einklang mit der Reaktion des Vaters: Er kann Verstockte nicht von ihrer Blindheit heilen. Ich meine also, dass die bei Johannes jetzt beisammen stehenden zwei Zitate schon in der ihm vorgegebenen Tradition zusammen gestanden haben. Man kann dazu verleitet werden, das zweite Zitat Johannes zuzuschreiben wegen der Erklärung in 12,41, dass Jesaja die (gr.)doxa Jesu gesehen hat. (gr.) doxa aber ist Lieblingswort des Johannes. Ich möchte betonen, dass der Begriff der Herrlichkeit durch Tg38 und LXX in Jes 6 eingeführt worden ist und Johannes dieses Wort zum Zentrum seiner Aussagen hat werden lassen, um die Intention von Jes 6 in seiner Zeit zu verkündigen39. Die ungekürzten Verse Jes 6,9f, gegen „ungläubige“ Juden angeführt, geben wohl die Stimmung einer Endzeitgemeinde um das Jahr 70 wieder, die das Zitat als Schlusspunkt versteht, geben aber - einseitig als Gerichtswort verstanden - nicht das Verständnis des Johannes wieder, der die beiden Möglichkeiten von Gericht und Heil kennt und gerade in 12,42ff auch seine Korrektur eines einseitigen Verständnisses von Jes 6,10 anbringt. Ich möchte mich R. Schnackenburg insofern anschließen, dass der Evangelist für die Auslassung der Worte vom Hören aus Jes 6,10 verantwortlich ist40. Das gesamte Zitat weise ich jedoch der Tradition zu.

Dass der Evangelist die Worte vom Hören aus Jes 6,10 nicht einfach weglässt, zeigt nicht nur 12,42ff41 , sondern besonders die Feststellung in Joh 8,43, dass Zuhörer (weil Gott verstockt hat) Jesu Worte nicht hören und verstehen können - hier findet sich Jes 6,9f in johanneischer Sprache, die aber an anderer Stelle sehr wohl vom Hören und Glauben sprechen kann und so Gericht und Heil gemäss Jes 6,10 und LXX Ps 39,11 für alle - Juden und Heiden - als Möglichkeiten sieht. Gerade die von Johannes als so wichtig gesehenen Griechen von Joh 12,20, die Jesus sehen wollen und Jesu Reaktion auf sie, zeigen die Offenheit der Verkündigung des Evangelisten für die Ehre Gottes und das Heil der Welt - durch den Heiland der Welt. Durch den gemäß Jes 6 Gesandten Gottes, Jesus, werden die Heiligkeit Gottes und seine Ehre - von Cherubim im himmlischen Bereich ausgerufen und von Jesaja vernommen - unter allen Menschen einladend und vor dem Gericht schützend proklamiert.

1 A. Faure, Die alttestamentlichen Zitate im 4. Evangelium und die Quellenscheidungshypothese, ZNW 21 (1922) 99-121.

2 R. Bultmann, Das Evangelium des Johannes, Göttingen, 141956 zu Joh 12,37ff und 20,30f. Eine gute Übersicht über die unterschiedliche Herleitung von Joh 12,37-40 (41) aus einer Quelle oder nicht findet sich bei D.M. Smith, Johannine Christianity, Columbia 1984, 90-93. Nach Darstellung der Ansichten von Bultmann, J. Becker, Das Evangelium des Johannes, I, Gütersloh 1979, II, 1981, R. Fortna,The Gospel of Signs, MSSNTS 11, 1970, W. Nicol, The Semeia in the Fourth Gospel, NT.S 32, Leiden 1972, R. Schnackenburg, Das Johannesevangelium, Teil I-IV, 31972, 21977, 21976, 1984, R. Kühschelm, Verstockung, Gericht und Heil, Frankfurt/M 1990, meint Smith,93, selbst: „The semeia-source (or whatever tradition one posits) may have incorporated the quotations from different Old Testament apologetic traditions.“ Kühschelm,131 führt Joh 12,35-43 auf den Evangelisten zurück. Bei ihm findet man außer einer eingehenden Analyse des Textes viele Literaturhinweise.

3 s. Anm. 1, 108

4 s. Anm. 1, 104f

5 G. Van Belle, The Signs Source in the Fourth Gospel, Leuven 1994, 359ff bringt Auswertung und Darstellung vieler Möglichkeiten vieler Forscher zur Semeiaquelle, lehnt jedoch selbst, 376, eine Semeiaquelle ab. Vgl. weiter: W. J. Bittner, Jesu Zeichen im Johannesevangelium, Tübingen 1987. W. Kraus, Johannes und das Alte Testament. Überlegungen zum Umgang mit der Schrift im Johannesevangelium im Horizont Biblischer Theologie, ZNW 88 (1997) 1-23, hier: 8-13. Er beschäftigt sich mit Joh 12,37-43 und spricht sich gegen Quellenscheidung und den Bezug der Semeia auf eine Semeiaquelle aus.

6 G. Reim, Jochanan, Erweiterte Studien zum alttestamentlichen Hintergrund des Johannesevangeliums, Verlag für Mission und Ökumene, Neuendettelsau 1995, 37-39.

7 Vgl. u.a. R. Schnackenburg, Das Johannesevangelium (HThK IV,4, s. Anm. 2), 143-152.M. J. J. Menken, Old Testament Quotations in the Fourth Gospel, Kampen 1996, 99-122, untersucht Joh 12,37ff und sagt, 101, „I hope to reinforce, to complete, and, when necessary, to correct theresults of Schnackenburg and others.“ 104: Johannes ist für die jetzige Form des Zitates aus Jes 6,9f verantwortlich. 118: Von ihm stamme auch die nicht aus der LXX stammende Form (gr.) strafosin (118) :“It is Jesus who addresses the prophet in Isa. 6:9-10.“ (119) Menken führt viel Literatur zu Joh 12,37ff an.

8 B. Chilton, The Isaiah Targum, The Aramaic Bible Vol. 11, Wilmington, Del. 1987, bemerkt in seiner Anm. zu seiner Übersetzung des Targums zu Jes 6,1-6,6: “From the outset, it is made clear that God´s „glory“ is seen, which is consistent with orthodox rabbinic thinking (cf. also John 12:41). In a passage associated with the Babylonian Talmud (Kiddushin 49a), R. Judah ben Ilai is portrayed as warning against translations which speak of seeing God directly (cf. Exodus 33:20), and against those which speak of seeing some angelic substitute. Rather, the use of the term „glory“ is recommended. Ich bin überzeugt, dass der Evangelist Johannes es mit jüdischen bzw. jüdisch-christlichen Gesprächspartnern zu tun hatte, die die johanneische Deutung alttestamentlicher Stellen wie Gen 28,12, Ps 45,7f oder 82,6 auf Jesus als Sohn Gottes ablehnten und die Deutung auf Engel vertraten. Sie mögen das auch hinsichtlich Jes 6,1ff getan haben, wogegen Johannes seine christologische Deutung setzt. Er steht damit Aussagen des Hebräerbriefes nahe.

9 Anders J. Becker,(s. Anm. 2), 208.

10 Die Anwesenheit bei der himmlischen Ratsversammlung ist für Johannes eher von dem zu erwarten, der nach Joh 1,18 im Schoß des Vaters ist, als von Jesaja.

11 So H. Wildberger, Jesaja, BK X.1, Neukirchen Vluyn 21980, 236: „Der Prophet fungiert als göttlicher Bote. Als solcher war er dabei bei der himmlischen Ratsversammlung...“. 238: „Jes 6 ist Jesajas prophetischer Legitimationsausweis..“.. Zum traditionellen Verständnis von Jes 6 als Berufungsvision des Propheten s. auch W. Werner, Vom Prophetenwort zur Prophetentheologie. Ein redaktionskritischer Versuch zu Jes 6,1 - 8,18, BZ NF 29 (1985) 1-30, hier: 29 „...spricht nichts dagegen, dass in Jes 6,1-11 von der Berufungsstunde des Jesaja die Rede ist.“

12 Wildberger, (s. Anm. 11), 240, weist darauf hin, dass nirgends im AT ein Prophet Jahwes Gesandter genannt wird. „Wo von der ‘Sendung eines Propheten’ geredet wird, handelt es sich in älteren Stücken regelmäßig um Beauftragung in einer konkreten Angelegenheit...“

13 Diese Sprechweise werde ich in einem gesonderten Aufsatz untersuchen. Wichtig ist die Bemerkung Wildbergers (s. Anm. 11),249: „Die Übersetzung von kabod bereitet Schwierigkeiten. Gewiss meint das Wort „Herrlichkeit“ im Sinn der objektiven Erscheinung, andererseits ist gerade an einer Stelle wie der vorliegenden nicht zu verkennen,dass das Wort zugleich „Ehre“ meint, und zwar sowohl die Ehre, die Gott für sich einlegt, als auch diejenige, die von ihm seinen Kreaturen entgegengebracht wird.“ Im Johannesevangelium findet man in der gleichen verwandten Doppelheit, die von (hebr.) kabod herkommt, (gr.) doxa.

14 Mit Becker, (s. Anm. 2 S. 571), 510  spricht man hinsichtlich Joh 17 besser vom Gebet des scheidenden Gesandten - nicht des scheidenden Erlösers - so O. Michel, ZSTh 18 (1941) 521-534.

15 Wichtig im Hinblick auf dieses „Erleiden“ ist die komplementäre Schriftstelle zu Jes 6: LXX Ps 39 in der Form „einen Leib aber hast du mir bereitet“ (vgl Hebr 10,5). Vgl. E. Schweizer, Zum religionsgeschichtlichen Hintergrund der „Sendungsformel“ Gal 4,4f; Rm 8,3f; Joh 3,16f; I Joh 4,9. ZNW 57 (1966), 199-210, hier: 210. „Damit sind wir bei der Sendungsaussage selbst. Man wird, insbesondere bei Paulus und Johannes, wo Präexistenzaussagen... sicher vorliegen, nicht bestreiten, dass die Vorstellung von der Sendung des präexistenten Sohns vom Himmel her vorausgesetzt ist. Man muss dies aber sofort dahin präzisieren, dass diese nur noch dienende Funktion ausübt für eine ganz andere Aussage. Tatsächlich will in Gal 4,4f die Verkündigung der Sendung des Gottessohnes die eschatologische Relevanz und den Charakter des alles vollendenden Gotteshandelns für das Ereignis der Kreuzigung festhalten. Rm 8,3f kann daher dieselbe  Aussage so machen, dass die Sendung nur noch im untergeordneten Partizip erscheint, während das am Kreuz vollzogene Gottesurteil die Hauptaussage wird. Ähnlich interpretiert Joh 3,16f das Heilsereignis der Kreuzigung Jesu (V.14) und erklärt mit der Sendungsformel, dass sich darin die weltrettende Liebe Gottes selbst erwiesen hat.  Vgl auch U. Wilckens, Das Evangelium nach Johannes, NTD 4 1998, 338. „Von Anfang an lenkt der Joh.evangelist den Blick seiner Leser auf den Kreuzestod als auf das Ziel seines Sendungsweges.“ 348: „Es war der aktuelle Streit zwischen Christen und Juden in der Zeit nach dem katastrophalen Ende Jerusalems, vor allem der jüdische Blasphemie-Vorwurf gegen den Glauben an Jesus als den Sohn Gottes und einzigen Lehrer und Erlöser, der den Johannes-Evangelisten zu jenem tiefgreifenden theologischen Nachdenken herausgefordert hat.“

17 Vgl Reim, Jochanan, 100-104.

18 Vgl. dazu den Aufsatz von C. Rowland, John 1,51, Jewish Apocalyptic and Targumic Tradition NTS 30 (1984) 498-507: 503 „The central feature of the targumic interpretation is the conviction that the features...of Jacob are set on the throne of glory.“

19 A.T. Hanson,The Prophetic Gospel. A Study of John and the Old Testament, Edinburgh 1997, 170, geht nicht auf Jes 6,8 ein, zeigt jedoch Verbindungen auf, die seiner Meinung nach zwischen Jes 6,1ff und Joh 12,1ff bestehen. Ich möchte darauf hinweisen, dass schon Joh 11,42 – die Rede Jesu um des Volkes willen, damit es glaubt, dass er von Gott gesandt ist - auf dem Hintergrund von Jes 6,8f gesehen werden muss.

20 Vgl auch Reim, Jochanan, 348-351, Jesus as God in the Fourth Gospel. The Old Testament Background. Nach Ps 45 spricht Gott zu Gott. Nach johanneischem Verständnis spricht gemäß Jes 53,1 (vgl Jes 52,13) Jesus zu Gott.

21 Joh 5,24

22 Vgl Reim, Jochanan, 100-104; 12-15; 37-39.

23 Wildberger, (s. Anm. 11), 261: „Nur Joh 12,40 weiß noch darum, dass Jesaja Gott selbst als Urheber der Verstockung gesehen hat.“

24 K. Haacker, Die Stiftung des Heils. Untersuchungen zur Struktur der johanneischen Theologie, Stuttgart 1971, 94 „Wir müssen uns also dem Textbefund stellen und fragen, warum Johannes den allerdings nicht spezifisch christologischen und nicht einmal spezifisch biblischen Gedanken der Sendung trotzdem so häufig verwendet.“ Außer den Kommentaren, haben sich viele eingehend mit der Sendung Jesu beschäftigt, u.a. J. P. Miranda, Die Sendung Jesu im vierten Evangelium. Religionsgeschichtliche Untersuchungen zu den johanneischen Sendungsformeln. Zugleich ein Beitrag zur johanneischen Christologie und Ekklesiologie, Bern 1972; J.- A. Bühner, Der Gesandte und sein Weg im 4. Evangelium, Tübingen 1978. C. Mercer, APOSTELLEIN und  PEMPEIN in John, NTS 36 (1990) 619-624 vergleicht besonders die feinen Unterschiede zwischen der Anwendung von (gr.)apostello und (gr.)pempo bei Johannes. Keiner der Autoren geht auf Jes 6 als Quelle für den johan-neischen Gesandten ein.

26 Wichtig ist auch, dass in Joh 8,42 neben dem haeko aus LXX Ps 39,8 die Sendung gemäss Jes 6,8 in einem Verse steht: (gr.)eipen autois ho Jesus, ei ho theos pater hymon aen aegapate an eme, ego gar ek tou theou exaelthon kai haeko. Oude gar ap emautou elaelytha, all ekeinos me apesteilen.

27 Die kursiv gedruckten Worte aus Jes 6 – Biblia Hebraica oder Tg - weisen auf besonders betonte johanneische Aussagen hin.

28 E. Jacob, Esaïe 1-12. Genf 1987, 100: „Les LXX, d’autres versions et le Targum ont essayé d’éliminer l’anthropomorphisme que constituait la mention du vêtement de Dieu et l’ont remplacé par la gloire"(gr.) plaeraes ho oikos taes doxaes autou (v.1) ce qui est après tout la bonne explication...“C. Hergenröder, Wir schauten seine Herrlichkeit. Das johanneische Sprechen vom Sehen im Horizont von Selbsterschließung Jesu und Antwort des Menschen, Würzburg 1996, 140, betont, dass als Textbasis für die verschiedenen johanneischen Begriffe vom Sehen die Epiphanieterminologie firmiert.

29 Wildberger, (s. Anm. 11) 253: „Jedenfalls spricht Jahwe nie von sich im pluralis majestaticus und Wnl'ist als Relikt der Vorstellung, dass Jahwe von einem Hofstaat dienender Geister umgeben ist und mit diesen zu Rate geht, aufzufassen (vgl. Gen 1,26; 3,22; 11,7).“

30 Aber vgl z.B. Becker, (s. Anm. 2), 208f. Er meint, dass man die Formel  (gr.)ego eimi nicht nur auf Deuterojesaja zurückführen könne, weil dort die spezielle Sendungsterminologie fehlt. Jüdische Tradition sei gnostisierend verarbeitet. 240: Für die Gesandtenvorstellung und die Vater-/Sohn-Terminologie seien dualistisches Weltbild und gnostisierendes Milieu Hintergrund.

31 Bühner, (s. Anm. 24) der Jes 6 nicht diskutiert, bemerkt jedoch, 425, „...die jüdische Umwelt nötigte die johanneische Gemeinde, Jesu Sendung mit im ‘normativen’ Judentum anerkannten Kategorien darzustellen.“Bühner weist auf die Parallelen der jüdischen Propheten und Engel mit dem verbundenen Repräsentations- und Vollmachtsverständnis hin. Dann heißt es, 427:  „Die ursprünglich jüdisch-esoterisch und rabbinisch nachwirkende Verbindung von ‘Prophet’ und ‘Engel’ ist damit die grundlegende religionsgeschichtliche Voraussetzung der johanneischen Christologie vom ‘Weg des Gesandten’;...“Schnackenburg, IV (s. Anm. 2), Paulinische und Johanneische Christologie, 105f, sieht die Sendungschristologie - nach Diskussion der Position E. Schweizers Anm.15) und W. A. Meeks’, The Prophet King. Moses Traditions and the Johannine Christology (NT. S 14), 301-305 in der jüdischen Weisheitsspekulation beheimatet. Neben Bühners Untersuchungen (s. Anm. 24) bleiben weiter die Ausführungen von K.H. Rengstorf, Art.  (gr.)apostello
in ThWNT 1, 1933 wichtig. Bedeutsam ist z.B. die Beobachtung, 420, dass die Bezeichnung ‘Gesandter’ nicht auf die Schriftpropheten angewandt worden ist. Dagegen galten, 419, Mose, Elia, Elisa und Ezechiel als Gesandte Gottes, „weil durch sie Dinge geschahen, die sonst Gott vorbehalten sind“ – Wunder, wie z.B. dass Mose Wasser aus dem Felsen fließen lässt (bBM 86b). „Was diese vier Männer aus ganz Israel heraushebt, ist das Wunder, zu dem Gott sie ermächtigt..“. Ich denke, dieses Verständnis erleichterte es Christen, den Wunder tuenden Jesus als „Gesandten“ zu verstehen. J. Seynaeve, Les Verbes (gr.)apostello et(gr.)pempo dans le vocabulaire théologique de Saint Jean, in: M. De Jonge (ed.), L’Évangile de Jean, Sources, rédaction, théologie, Gembloux – Leuwen 1977, 385-389 hat eine kurze linguistische Studie vorgelegt, in der er jedoch auf die Herkunft der untersuchten Verben aus dem AT nicht eingeht. Vgl. auch Mercer, APOSTELLEIN (s. Anm. 24). Dass auch (hebr.) lecha weamarta laam hasae aus Jes 6,9 von Johannes verwendet worden ist, zeigen meiner Meinung Joh 6,24 und 12,(9ff). 34-36.F. Hauck/ S. Schulz,  Art. (gr.)poreuomai ThWNT 6 (1959) 571 heißt es: „Dieser göttliche Sendungsimperativ tritt bes hervor an bedeutsamen Sendungen in der Gesch zwischen Gott u seinem Volk u erhebt Menschen zu Trägern göttlicher Aufträge wie Abraham..., Elia, ...Jesaja Js 6,8f;...“

32 Bei einer ausführlicheren Behandlung der Herkunft der johanneischen Sondersprache werde ich in einem gesonderten  Artikel nicht nur auf Jes 6 genauer eingehen, sondern auch die mir bekannten anderen alttestamentlichen Quellorte für diese Sondersprache berücksichtigen.

33 Zu (gr.)ap emautou vgl. Joh 5,30; 7,17; 7,28; 8,28; 8,42: 14,10 und - betont anders - 10,18. An die Sendung von Jes 6,8 schließt die Beauftragung mit der Rede - Jes 6,9 - an. Deswegen kann diese Rede bei Johannes nie in Jesus selbst ihren Ursprung haben (gr.)ap emautou sondern in Gott, der Jesus gesandt hat.

34 Becker, (s. Anm. 2) I,57 „Alles ist nun bei E ausgerichtet auf das Heilsziel des ewigen Lebens." Ich meine, dass man unbedingt ergänzen muss: Alles ist nun bei E ausgerichtet auf die Ehre Gottes und, damit verbunden, auf das Heilsziel des ewigen Lebens. Vgl. R. Schnackenburg (s. Anm. 2) I, 350 "...dass  Gott Ursprung und Ziel aller Jesus eignenden Herrlichkeit ist.“

35 Wenn U. B. Müller,Zur Eigentümlichkeit des Johannesevangeliums. Das Problem des Todes Jesu, ZNW. 88 (1997) 24-55, hier: 54 schreibt: „Nicht, dass der Logos Fleisch geworden ist im Menschen Jesus, leitet die Aussagen des Evangeliums...sondern dass Jesus sich als den einzig legitimen Offenbarer himmlischen Lebens bezeichnen kann“ - entscheidet Müller sich für den einen Leitgedanken bei Johannes gegen den anderen. Ich meine im Hinblick auf die enge Verflechtung der Aussagen auf Grund von Jes 6 (einzig legitimer Offenbarer) und LXX Ps 39 (Fleischwerdung), dass beide Leitgedanken gleichwertig sind.

36 Ich unterstreiche Schnackenburgs Kritik in BZ NF 35 (1991), 272-274, hier: 273 an der von Kühschelm (s. Anm. 2), 201 geäußerten Anschauung, dass mit der „Herrlichkeit Jesu“ ausschließlich die Wahrnehmung dieser Herrlichkeit in Jesu „irdisch-historischem Wirken“ gemeint sei. Auch Menken, (s. Anm. 7), 119 und Hanson, (s. Anm. 19), 83 betonen, dass Jesus als derPräexistente begegnet ist. Hanson,83, „We have then in chapter 5 a daring claim that Jesus is God the Word, thathe has known the works of God in creation, and that it was he in the person of the pre-existent Word whom Moses and all Israel heard and saw at Sinai.“ Vgl. zum Problem der Präexistenz auch: Reim, Jochanan, (s. Anm. 6), 154f; 490-492; 495.

37 Anders denkt Menken (s. Anm. 7), 209 zum Zitat des Evangelisten in Joh 12,40: „Der Text der LXX ist nicht für seinen Zweck, das Herausstellen der göttlichen Determination als Grund des Unglaubens, brauchbar. Er arbeitet jedoch selektiv: Er wählt eine ihm passende Vokalisation des Hebräischen, er folgt am Ende der LXX, da diese ihm bessere Anwendungsmöglichkeiten gibt...“. 121, Anm. 83 meint Menken,dass die Textformen in 12,38 und 12,40 nicht auf Abhängigkeit von einer Quelle zurückzuführen seien.

38 D. Muños. Léon, Gloria de la Shekiná en los Targumim del Pentateuco, Madrid 1977, 487, weist darauf hin, dass „Gloria (aram. 'Iqara und genaue Übersetzung von (hebr) kabod de la Shekinah“ im Codex Neofiti ca 90 mal gebraucht wird, während diese Formulierung bei Onkelos fehlt. Er erklärt das mit der Aversion orthodoxer Rabbinen gegen jede Art von Hypostasen wegen der Aufrechterhaltung des reinen Monotheismus.

39 Schnackenburg, (s. Anm. 2), II, 509 weist darauf hin, dass Johannes die Kabod-Erscheinung aus dem Logoslied übernommen hat. Ich frage mich, ob man nicht im vorjohanneischen und johanneischen Umfeld im Anschluss an Ex 34,6 und Jes 6 viel über die Kabod nachgedacht und sie dann mit Jesus in Verbindung gebracht hat.

40 Schnackenburg, (s. Anm. 2), IV, 149. Mit diesem Artikel korrigiere ich gleichzeitig meine Aussagen in Jochanan, (s. Anm. 6), 38f.

41 C. Dietzfelbinger, Der Abschied des Kommenden, Tübingen 1997, 94 spricht mit Recht davon, dass hinter Interpretationsvorgängen immer Interpretations-bedürfnisse stehen. Ich meine, dass sich die Situation in der johanneischen Gemeinde gegenüber derjenigen in der Semeiaquelle grundlegend geändert hat: Für Johannes geht das Zeitalter des Hörenkönnens unbedingt weiter, deswegen Joh 12,42ff! Auch G. Röhser, Prädestination und Verstockung, Tübingen/Basel, 1994, 240 sagt: „Durch die Feststellung von V.42a wird die absolute Aussage von V.38 faktisch wieder zurückgenommen.“ Dass Joh 12,44-50 unbedingt von Johannes stammen, betont mit Recht J. Frey, Die johanneische Eschatologie III, WUNT 117, Tübingen 2000, 310: “Gegen die redaktionelle Herkunft des gesamten Abschnittes spricht die johanneische Sprachgestalt.“

 

Die Doxa Jesu, Tetraevangeliar
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